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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Auf den Punkt: Alle Hemmungen abtrainiert

Malte Lehming über den Massenmörder Tim K.

Sieht man von den fatalistischen ("Dagegen kann man nichts machen"), pädagogischen ("Den jungen Menschen aufmerksamer zuhören") und feuilletonistischen ("Ein Spiegel unserer Gesellschaft") Reaktionen auf den Massenmörder Tim K. ab, konzentriert sich der eher praktische Teil der Debatte auf drei Forderungen: einen besseren Schutz vor solchen Taten an Schulen, eine Verschärfung der Waffengesetze und ein striktes Verbot von interaktiven Computer-Gewaltspielen. Auf die ersten beiden Punkte soll an dieser Stelle nur kurz eingegangen werden. Erstens: Metalldetektoren und bewaffnetes Sicherheitspersonal an deutschen Schulen - das will sich im Ernst kaum einer vorstellen, geschweige denn wünschen. Zweitens: Die Waffengesetze in Deutschland sind bereits recht streng, geprüft werden muss allerdings, ob insbesondere der Vater von Tim K. seine Aufsichtspflicht grob verletzt hat.

Bleibt das ewige Thema "Killerspiele". Tim K. war depressiv und zeitweise in psychiatrischer Behandlung. Aber Depressionen allein produzieren noch keinen Massenmörder. Auch für Waffen und gewaltlastige Computerspiele hatte Tim K. eine Vorliebe. Das gilt inzwischen als bestätigt. Mithin wird die Diskussion darüber neu entfacht. Zu hoffen ist, dass sie ernster und konsequenter geführt wird als in der Vergangenheit. Denn es ist erwiesen: Killerspiele am Computer fördern aggressives Verhalten bei Jugendlichen. Was fehlt, sind zwar Studien über die Auswirkungen einzelner Spiele, also die so genannten "spielespezifischen Informationen". Aber daraus zu schließen, dass die Gefährlichkeit solcher Spiele generell nicht bewiesen sei, wäre falsch. Gestritten wird unter Wissenschaftlern lediglich noch über die Höhe des negativen Effekts.

Ein häufig gehörtes Gegenargument lautet: Tausende von Jugendlichen spielen solche Spiele, ohne zu Amokläufern zu werden. Das stimmt. Und es stimmt auch: Weder Depressionen, noch Liebeskummer, Geltungsdrang, unterdrückte Aggressionen oder Mobbing allein erklären einen Massenmord. Doch Killerspiele verhalten sich zu späterer Aggression wie das Rauchen zum Lungenkrebs: Es ist ein statistischer Zusammenhang, keiner, der auf jedes Individuum zutrifft. Und statistisch betrachtet ist es so: Bei der virtuellen Gewalt lernen Jugendliche, dass Brutalität belohnt wird, etwas Gutes ist. Entsprechend werden Endorphine ausgeschüttet, Glückshormone. Derart konditioniert verhalten sich die späteren Amokläufer bei ihrer Tat. Die Fähigkeit zum Mitleiden wurde ihnen virtuell abtrainiert. Es ist kein Zufall, dass Killerspiele ursprünglich in Militärkreisen entwickelt wurden, um Soldaten emotionsloser, sprich: effektiver, zu machen.

Eine Ausweitung des Verbots von interaktiven Computer-Gewaltspielen muss Kosten und Nutzen abwägen. Natürlich lassen sich solche Verbote relativ leicht umgehen, aber nach dieser Logik müssten auch Ladendiebstahl und der Alkoholkonsum Minderjähriger erlaubt sein. Einmal andersherum gefragt: Was spricht für solche Spiele, abgesehen von dem "Kick"? Nichts, rein gar nichts. Jugendliche dürfen nicht wählen, keinen Joint rauchen, keinen Wodka trinken, aber sie dürfen am Computer lernen, wie man wehrlose Menschen hinrichtet? Das darf nicht sein, das darf nicht länger wahr sein!

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