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© dpa

Katholische Kirche: Auftreten, nicht austreten

Die Aussöhnung des Papstes mit reaktionären Bischöfen und einem Holocaust-Leugner ist kurz vor dem Gedenktag der Befreiung von Auschwitz besonders rätselhaft. Alle Versuche, die Entscheidung verständlich zu machen, scheitern oder führen vor Abgründe.

Unvergesslich ist mir eine Szene, die ich vor einigen Jahren in den Abendnachrichten sah. In einer Talkshow in New York saßen unter anderen ein alter Kampfgefährte von Martin Luther King (ein Onkel-Tom-Typ aus Saint Louis) sowie ein junger, weißer Rassist aus dem Umfeld des Ku-Klux-Clans. Der junge Mann behauptete steif und fest, dass Schwarze eine niedriger entwickelte Form von Menschen seien, in der Evolution zu verorten irgendwo zwischen Mensch und Affe.

Die Runde diskutierte kontrovers über diese Behauptung. Es war gespenstisch. Der Einzige, der zu dieser These nichts sagte, war der Schwarze. Aber man konnte spüren, wie verletzt er war – nicht nur über die Behauptung, sondern auch darüber, dass sie überhaupt als diskussionswürdiger Beitrag zugelassen wurde. Schließlich tat er das einzig Angemessene: Er stand auf, trat vor den jungen Mann in Lederklamotten, gab ihm eine schallende Ohrfeige und verließ den Raum.

Von einem Menschen zu behaupten, er sei wegen seiner Hautfarbe gar kein richtiger Mensch, ist keine bloße Meinungsäußerung, sondern Gewalt. Genauso verhält es sich mit der Behauptung, der Holocaust habe gar nicht stattgefunden. Leute, die solche Sachen behaupten, nehmen gerne für sich das Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch. Aber was sie mit ihren Worten tun, sehen sie nicht. Wenn die Verletzten schreien, reagieren sie gerne mit Sätzen wie: „Die sind aber empfindlich“ oder „Jetzt übertreiben die aber“ oder „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“. Am Ende werden sie sich vielleicht zu einer Entschuldigung beim Talkshow-Master bewegen lassen – dafür, dass sie ihm mit ihrer Meinungsäußerung ein so schweres Moderationsproblem gestellt haben. Es ist einfach widerlich. Dabei wäre es natürlich die Sache des Talkshowmoderators gewesen, den Kerl sofort aus der Runde zu schmeißen.

Was uns in diesen Tagen beschäftigt – und worüber sich in der Gedenkkirche der Katholiken Deutschlands für die Opfer des Nationalsozialismus heute schlechterdings nicht schweigen lässt –, ist die Tatsache, dass sich die katholische Kirche, vertreten durch den Papst, vor gut einer Woche mit vier Bischöfen versöhnt hat (die Aufhebung der Exkommunikation ist kirchenrechtlich ein Akt der Versöhnung), die das Zweite Vatikanische Konzil nicht anerkennen, die Reinigung der liturgischen Texte von Antijudaismen nicht mit nachvollziehen und von denen einer sogar den Holocaust leugnet.

Der Zeitpunkt der Versöhnung, einige Tage vor dem Gedenktag der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar, ist für die Opfer des Antisemitismus und ihre Angehörigen besonders schmerzhaft. Nach einer Woche der Aufschreie, verunglückter Rechfertigungsversuche und Enthüllungen über die Bruderschaft stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Es ist erstaunlich, wie viel in einer Woche kaputtgehen kann.

„Sentire cum ecclesia“, „mitfühlen mit der Kirche“ bedeutet für mich als Katholik in diesen Tagen, dass ich mich einerseits nicht einfach von der Entscheidung des Papstes distanzieren kann wie ein kirchendistanzierter Beobachter oder wie ein Nichtkatholik. Andererseits kann ich diese Entscheidung nicht verstehen, mehr noch: Alle Versuche, sie mir selbst verständlich zu machen, scheitern oder führen mich vor Abgründe.

Es wird darauf hingewiesen, dass der Heilige Vater die Holocaust-Leugnung verurteilt und dass gerade das positive Verhältnis zum Judentum ein Herzstück seiner Theologie ist. Ja, das ist richtig, aber das macht die ganze Sache nur noch rätselhafter. Die Entscheidung spricht eine andere Sprache als die Worte, und im Ernstfall zählen Taten immer mehr als Worte.

Bleibt die Frage: Was können wir Katholiken in dieser Situation tun? Viele Katholiken neigen in diesen Tagen zur Resignation. Sie wollen die Kirche verlassen. Sie geben die Hoffnung auf, dass sich da noch etwas bewegen könnte außer in Richtung auf eine Bruderschaft hin, in deren reaktionärem, anti semitischem Sumpf Holocaust- Leugner gedeihen. Ich setze dagegen die Parole: „Auftreten, nicht austreten.“ Es wäre fatal, die Kritik an der Entscheidung den Kirchenfeinden zu überlassen – denen, die mal wieder alle ihre Vorurteile bestätigt sehen und triumphieren.

Es gibt eine lieblose Kritik, und es gibt eine Kritik aus Liebe. Schweigen kann auch ein Zeichen für einen Mangel an Liebe sein. Einfach das Unangenehme und Schmerzliche wegschieben, weitermachen wie bisher, den Kopf in den Sand stecken und warten, bis der Sturm vorüber ist – das alles hat nichts mit dem „sentire cum ecclesia“ zu tun, wie es die Heiligen der Kirchengeschichte verstanden. Es gibt ein Schweigen aus Loyalität, es gibt aber auch einen Widerspruch aus Loyalität. Der ist jetzt dran. Nur wenn wir Katholiken nach innen hin offen sind, können wir auch ungeteilten Herzens im Hochgebet der Eucharistiefeier unsere „Einheit mit dem Papst, unserem Bischof und allen Bischöfen“ aussprechen, wie wir es im Hochgebet tun.

Schließlich gibt es ein Stichwort, das mir in diesen Tagen öfters gekommen ist: „Weltfremdheit“. Die Kirche scheint mir in der Gefahr, weltfremd zu werden. Es gibt eine „Weltfremdheit“, die gefährlich ist. Alfred Delp, ein Jesuit und Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand gegen Hitler, der am 2. Februar 1945 in Plötzensee von den Nazis hingerichtet wurde, hat das für die Kirche in seiner Weihnachtsmeditation unter dem Stichwort „die Amtsstuben“ beschrieben. Die Kirche ist in der Welt. Zu meinen, man könne sich mit Worten, abstrakten Unterscheidungen und mit Totschweigen des entscheidenden Punktes aus den politischen Kontexten herausbegeben, in den man steht, ist weltfremd. Diese Weltfremdheit ist keineswegs ein kurioser Anachronismus, sondern gefährlich, so wie ein Geisterfahrer sich und andere gefährdet, gerade dann, wenn er alle entgegenkommenden Autos für Feinde hält. Es sollte uns zu denken geben, wenn wir meinen, alle Welt sei uns feindlich gesinnt. Das eigentliche Problem sind vielleicht wir selbst.

Nicht jeder, der in diesen Tagen die Kirche kritisiert, hat deswegen schon recht. Aber daraus folgt nicht, dass es keinen Anlass gäbe, nachdenklich zu werden über uns selbst als Kirche. Es wäre ein Gewinn für die Kirche und für die Welt, wenn aus der fatalen Entscheidung des Vatikans ein geistvolles Nachdenken wachsen wür de. Dann hätte der Heilige Geist auch auf dieser neuesten krummen Zeile etwas Gerades geschrieben. Dass er das kann, daran glaube ich fest.

Der Text ist die gekürzte Fassung der Predigt, die Pater Klaus Mertes SJ am vergangenen Sonntag in der Gedenkkirche für die Opfer des Nationalsozialismus, Maria Regina Martyrum, gehalten hat.

Klaus Mertes

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