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Meinung: Kommt Maggie nach Deutschland?

Eine selbstbewusste Führungsgestalt wäre Chance und Gefahr zugleich Von Dominik Geppert

Maggie Thatcher als Vorbild für Deutschland? Noch vor kurzem wäre jeder brüsk abgewiesen worden, der so etwas vorgeschlagen hätte. Aber je mehr sich die politischökonomische Krise in Deutschland vertieft, je stärker die Parteien in Ratlosigkeit erstarren, je schriller das Krisenbewusstsein in der Öffentlichkeit Alarm schlägt und je mehr das Vertrauen in die Problemlösungskapazitäten des politischen Systems schwindet, desto aktueller werden die bitteren Rezepturen der Eisernen Lady für unser Land.

Dabei kann es nicht darum gehen die Reformen, die in den Achtzigerjahren die britische Krankheit geheilt haben, eins zu eins zu übertragen. Deutschland 2003 unterscheidet sich in vielen Einzelheiten von Großbritannien 1979. Doch das Grundproblem ist dasselbe: Wirtschaftliche und politische Fehlentwicklungen kulminieren. Weder über die Analyse der Krisensymptome noch über die Notwendigkeit drastischer Korrekturen bestehen Zweifel. Aber die Umsetzung der Erkenntnisse stößt auf schier unüberwindliche Schwierigkeiten. Kurz: Es geht um die Frage, woher eine Gesellschaft die Schwungkraft für unbequeme Veränderungen nimmt.

Die Lösung, die unser politisches System für eine derartige Situation nahe legt, ist die Große Koalition – sei sie inoffiziell, wie gegenwärtig wegen der Machtverhältnisse im Bundesrat schon praktiziert, oder förmlich wie unter Kanzler Kiesinger. Tatsächlich haben die Jahre 1966 bis 1969 bewiesen, dass ein Zusammengehen der beiden Volksparteien wichtige Veränderungen auf den Weg bringen kann, wenn sich deren Führungskräfte über den Kurs einig sind. Freilich hat jene Große Koalition ihre wichtigsten Erfolge mit Verfassungsreformen, nicht in der Wirtschaftspolitik errungen. Sie hat nicht den Rückzug des Staates eingeleitet, sondern ihn weiter ausgebaut.

Heute ist die Ausgangslage schwieriger, nicht zuletzt weil Lobbyisten in den beiden Volksparteien großen Einfluss ausüben. Die Reformer in CDU und SPD hoffen, dass sie vereint besser imstande sind, sich gegen die Interessenvertreter des Status quo durchzusetzen. Doch diese Hoffnung kann trügen. Auch die Bewahrungskräfte in beiden Lagern werden schließlich gebündelt. Und mindestens 15 Monate vor der nächsten Bundestagswahl wird die Phase gemeinsamen Gestaltens wieder verstärkten Abgrenzungsbemühungen Platz machen müssen, um das eigene Profil vor dem Urnengang zu schärfen.

Die Alternative zur Großen Koalition wäre der Thatcher-Kurs: Eine risikobereite, selbstbewusste Führungsgestalt polarisiert die Szene, setzt im direkten Appell an die Bürger unterdrückte Energien frei, bricht erstarrte Fronten auf, definiert und besetzt eine neue Mitte in der Politik. In diesem Fall würde der politische Streit nicht in Kommissionen begraben, sondern offen ausgetragen. Dem Widerstand der organisierten Interessen würde nicht ausgewichen. Er würde gebrochen.

Wenn die etablierten Kräfte wichtigen Konflikten weiter ausweichen, könnte die Frontstellung gegen das Establishment, der kalkulierte Tabubruch als Strategie und schonungslose Ehrlichkeit als politische Waffe einem charismatischen Außenseiter auch in Deutschland Erfolge bescheren. Blickt man auf die deutsche Geschichte und unsere katastrophale Erfahrung bei der Auswahl charismatischer Führer zurück, so ist dieser Weg mit erheblichen Risiken verbunden. Aufbruch statt Stabilität, Wagnis statt Berechenbarkeit wären die Perspektiven. Veränderungen würden nicht im Konsens vereinbart, sondern im Konflikt erstritten.

Das würde neben Gefahren auch Chancen bergen. Die Reibungsverluste, die jede Kompromisssuche mit sich bringt, würden verringert, der Einfluss der verschiedenen Lobby-Gruppen minimiert, Entscheidungsabläufe verkürzt. Angesichts der Zwänge und Blockaden unseres politischen Systems, der Angststarre, in die unsere Politiker verfallen sind, bleibt diese Möglichkeit vorerst unwahrscheinlich. Ausgeschlossen ist sie nicht.

Der Autor ist Historiker und hat gerade „Maggie Thatchers Rosskur – Ein Rezept für Deutschland?“ (Siedler) veröffentlicht.

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