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Meinung: Konjunktur: Für eine Politik von langer Hand

Ruhige Hand oder Intervention? Man kann nicht beides zugleich geißeln.

Ruhige Hand oder Intervention? Man kann nicht beides zugleich geißeln. Wer gestern gerufen hat: "Tu was, Kanzler!", darf ihm heute nicht vorwerfen, dass er, wie gestern angekündigt, im Osten zwei Milliarden für den Städtebau investieren will. Regional probiert er also genau das, was er national nicht will - die Konjunktur anzukurbeln. Der Vergleich mit Kohls 90er-Jahren ist vorschnell. Schröder ist kein Aussitzer.

Doch tut er jetzt so, als würden von ihm kostspielige Konjunkturprogramme verlangt. Dagegen lässt sich leicht polemisieren. Will eine konservative Opposition im Ernst die Rückkehr zum antizyklischen Keynesianismus der 70er Jahre? Da können Sozialdemokraten auf ihrem Dritten Weg nur lachen. Es reicht ein Blick nach Japan, um zu sehen, dass Konjunkturprogramme nur eines bewirken: Sie erhöhen die Staatsverschuldung. Der erhoffte positive Effekt aber verpufft rasch; die Konjunktur kommt auf diesem Weg gewiss nicht in Schwung.

Nur, hat überhaupt irgendjemand Konjunkturprogramme verlangt? Es ist wohlfeil, dem Gegner etwas zu unterstellen, was er gar nicht fordert. Besser wäre es, genau zu prüfen, was Aufgabe der Wirtschaftspolitik in Zeiten des Abschwungs sein kann und was nicht. Hektik und Nervosität sind die falsche Reaktion, und wenn man den Kanzler in diesen Tagen genau beobachtet, dann sieht man, dass seine Hand längst zittert. Er muss etwas tun, nur was? Interventionismus oder Keynesianismus würden die Landung keinen Deut sanfter gestalten. Warten auf bessere Zeiten wäre freilich genauso falsch. Das Unterscheidungskriterium ist gar nicht so schwer zu finden: Kurzfristige Stimulantien der Konjunktur nützen nichts. Besser wären Reformen, die langfristig das Wachstumspotenzial steigern.

Der Abschwung kommt aus Amerika. Es deutet einiges darauf hin, dass die neuesten US-Konjunkturzahlen die klassischen Definitionsbedingungen der Rezession erfüllen: Danach wäre die amerikanische Wirtschaft in zwei aufeinander folgenden Quartalen des Jahres 2001 geschrumpft. Daran kann eine deutsche Wirtschaftspolitik nichts ändern. Aber der Blick auf die europäischen Zahlen gibt zu denken. Während im Schnitt die Wachstumsprognosen für Europa im laufenden Jahr von 2,9 auf 1,9 Prozent korrigiert wurden, kühlt sich das Klima in Deutschland überproportional ab: Zwischen 1,3 und 1 Prozent bewegt sich die Spanne zwischen Optimisten und Pessimisten. Ursprünglich hatte die Bundesregierung auf 2,8 Prozent gehofft.

Das kann nur heißen: In Deutschland ist etwas krank - unabhängig vom amerikanischen Virus. Denn unsere Volkswirtschaft könnte stärker wachsen, selbst im Abschwung. Dazu muss sie durch strukturelle Reformen in die Lage versetzt werden. Kurzfristig hilft das alles wenig. Langfristig schon. An erster Stelle der Veränderungsagenda steht der starre Arbeitsmarkt. Der Wind des Wettbewerbs wäre wichtig; retouchierende Job-Aktiv-Programme reichen nicht. Man kann über Roland Kochs amerikanische Ideen zur Reform der Sozialhilfe diskutieren. Kollektive Beschwörungen, wir wollten keine amerikanischen Verhältnisse, sind indessen lediglich Ausdruck von Verleugnung. Hinzu kommt: Die sozialen Sicherungssysteme ersticken an ihren Kosten. Alters- und Gesundheitsvorsorge brauchen mehr Eigenverantwortung und mehr Eigenfinanzierung.

Die Steuerreform hingegen ist ein Zwitter. Wer sich vom Vorziehen ihrer nächsten Stufe eine Konjunkturspritze erhofft, ohne über die Finanzierung zu reden, lügt sich in die Tasche. Kurzfristig könnte das sogar negative Effekte haben, wie man in Amerika sieht: Bushs Steuerreform führt im Augenblick dazu, dass Unternehmen und Verbraucher ihre Investitions- und Konsumentscheidungen aufschieben, bis die Reform greift. Das macht die Krise nicht besser. Als langfristiges Instrument zur Weitung des Wachstumspotenzials aber sind Steuersenkungen allemal willkommen.

Ein Programm für langfristiges Wachstum, das wäre eine Kabinettssitzung nach der Sommerpause wert. Zu dumm freilich, dass in absehbarer Zeit mehrere Wahlen sind. Denn was langfristig allen nützt, tut kurzfristig vielen weh. Das ist keine komfortable Situation für eine Regierung, die wiedergewählt werden will.

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