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Meinung: Konjunktur: Was nicht im Lehrbuch steht

Börsen sind ein Barometer der Zukunft. Wenn das stimmt, sehen unsere Zukunftsaussichten derzeit finster aus.

Börsen sind ein Barometer der Zukunft. Wenn das stimmt, sehen unsere Zukunftsaussichten derzeit finster aus. Seit Monaten befinden sich die Aktienmärkte in Frankfurt, New York und Tokio auf dem Weg nach unten. Jetzt leidet auch der Dollar. Seit Tagen fällt sein Wert im Verhältnis zu Euro und Yen.

Das hat Gründe. Fast täglich melden die Unternehmen, dass sie weniger verdienen, dass sie Mitarbeiter entlassen müssen oder - im schlimmsten Fall -, dass sie pleite sind. Die Europäische Zentralbank geht davon aus, dass sich die Konjunktur im Euro-Raum noch schneller abkühlt als erwartet. Die Notenbanker halten nun ihre eigene Einschätzung, wonach die Wirtschaft im Euro-Raum in diesem Jahr zwei Prozent wachsen werde, für zu optimistisch. Und alle sind sich einig: Die Krise dauert noch - zumindest länger als erhofft.

In den USA sprechen die Ökonomen mittlerweile statt von einer sich abkühlenden Konjunktur immer öfter von einer drohenden Rezession. Japan findet seit zehn Jahren keinen Ausweg aus der Wirtschaftsflaute. Das hat es lange nicht gegeben: Die so genannte Triade - USA, Europa und Japan - steckt gemeinsam in der Krise. Glaubt man den Aktienmärkten, wird es auch in nächster Zeit nicht besser, sondern schlimmer.

Wer tief fällt, ist vorher hoch gestiegen. In den vergangenen zehn Jahren erlebten die Vereinigten Staaten einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung, getrieben vor allem von der Informationstechnik. Es waren die Produktivitätszuwächse, die Anlass gaben zu glauben, dass kräftiges Wachstum dauerhaft ohne Inflation und bei geringer Arbeitslosigkeit möglich sei. Die Unternehmen investierten hohe Summen in Internetauftritte und die Vernetzung ihrer Firmen. Die Aktienkurse schossen in die Höhe - bis sich irgendwann die Zweifel mehrten, dass die zukünftigen Erträge die hohen Bewertungen vielleicht niemals rechtfertigen könnten. Dann kam die Ernüchterung: Auch wer nicht so weit gehen wollte zu sagen, das Internet sei ein wirtschaftlicher Flopp, musste erkennen, dass es länger als erwartet dauern wird, bis dort Geld verdient wird.

Jetzt warten die Akteure an den Märkten auf die Wende. Woher soll sie kommen? Wer gibt die Initialzündung? Es sind nach wie vor die USA, die in der Weltwirtschaft den Takt angeben. Wenn dort der Motor langsamer läuft, gehen in anderen Ländern bereits die Lichter aus. Der Mann, der in den vergangenen zehn Jahren die US-Wirtschaft in Fahrt gehalten hat, ist Alan Greenspan, der Chef der amerikanischen Notenbank. Doch seine Macht zeigt Grenzen: Seit Jahresbeginn hat er - so schnell wie noch nie in der Geschichte der Notenbank - die Leitzinsen in sechs Schritten drastisch gesenkt.

Doch hat es auch genützt? Normalerweise sinken nach einer Leitzinssenkung die Zinsen auch an den Anleihemärkten, der Dollar-Kurs fällt und die Aktienkurse steigen. Die amerikanischen Firmen können sich bei niedrigeren Zinsen billiger Geld für Investitionen besorgen, der Export wird bei sinkendem Dollarkurs angekurbelt, die Konsumenten geben mehr Geld aus, weil sie sich bei steigenden Aktienkursen reicher fühlen. Das alles soll die Konjunktur wieder in Schwung bringen, wenn auch mit einer zeitlichen Verzögerung von sechs bis zwölf Monaten. So steht es jedenfalls im Lehrbuch der Ökonomie.

Tatsächlich sind alle drei Effekte bisher nicht eingetreten. Ökonomie ist, lange bekannt, auch Psychologie. Und die folgt einer eigenen Logik: Verbraucher konsumieren nur, wenn sie sicher sind, auch morgen noch die Miete zahlen zu können. Unternehmen investieren nur, wenn sie glauben, am Ende mehr zu gewinnen, als sie hineinstecken. Und diese Rechnung kann auch bei niedrigen Zinsen negativ ausfallen. Niemand ist sicher, wann das Vertrauen der Verbraucher wieder greift.

Unsicherheit ist Gift für die Börse. Zu Depression besteht trotzdem kein Anlass. Es gibt leise Signale, dass die amerikanischen Technologieunternehmen wieder Tritt fassen. Und die Dollarschwäche hat ja auch nicht nur negative Effekte: In Amerika profitiert die Exportindustrie; im Euroraum könnte die Zentralbank freier über Zinssenkungen nachdenken. Mutige Anleger werden darauf setzen. Und wer Mut hat, der hält die Wartezeit aus.

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