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KONTRA Punkt: Gauck ist Merkels Meisterwerk

Wie es kommt, dass SPD und Grüne für einen Konservativen eintreten.

Oh ja, mein ist die Rache, spricht Angela Merkel. Der Schalk sitzt ihr im Nacken, sie lacht sich ins Fäustchen. Joachim Gauck als Bundespräsident! Das ist genial. Und ein Triumph. Dass nun der eine oder andere denken mag, sie hätte vor zwanzig Monaten aufs falsche Pferd gesetzt, sei reumütig und klein – geschenkt.

Gauck ist Merkels Meisterwerk. Aktiv unterstützt von SPD und Grünen wird bald der konservativste Bundespräsident gewählt, den Deutschland je hatte. Überdies kann die Kanzlerin, die geschickt die Legende hatte verbreiten lassen, bis zum Schluss quasi gegen ihn gewesen zu sein, ihre Hände bei allem, was passiert, in Unschuld waschen. Geschichte kann so köstlich sein.

Erinnern wir uns: Nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler war damals zunächst die Springer-Presse („Welt“) mit dem Namen Gauck vorgeprescht, gefolgt von „Spiegel“ und „Faz“. Dann sprang Jürgen Trittin auf den fahrenden Zug, gefolgt von Sigmar Gabriel. Gemeinsam brachten sie Merkel in die Bredouille: Soll sie, trotz eigener Mehrheit in der Bundesversammlung, dem Vorschlag der Opposition folgen? Sie entschied sich, um diese Peinlichkeit zu vermeiden, für Christian Wulff. Das war ein Fehler, wie man heute weiß.

Doch jetzt macht sie diesen Fehler nicht nur rückgängig, sondern quält gleichzeitig die Opposition, die ihrerseits so wehr- wie hilflos ist. Denn SPD und Grüne kommen von Gauck nicht mehr runter. Das wissen sie auch, jedenfalls tun sie so, obwohl den Öko-Sozen bei dem bloßen Gedanken an die erste große Rede des konservativen, freiheitsliebenden, tief gläubigen Antikommunisten die Beine vor Panik schlackern und ihnen der kalte Schweiß übers Gesicht laufen dürfte. Sie hatten es damals doch gar nicht ernst gemeint, wollten nur Merkel ein bisschen piesacken. Insgeheim wussten sie immer, dass Gauck zu ihnen passt wie Sprengstoff zum Zünder.

Nun fliegt der Bluff auf, Merkel sei Dank. Und Gabriel und Trittin lernen am eigenen Leib die Weisheit des alten Sprichworts kennen: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.

Wer ist Gauck? Im vergangenen Oktober, als weltweit Hunderttausende gegen die Macht der Märkte auf die Straßen gingen und die Bewegung „Occupy Wall Street“ von sich reden machte, trat Gauck bei einer Veranstaltung der „Zeit“ in Hamburg auf. Die Antikapitalismusdebatte sei „unsäglich albern“, sagte er, sprach von „Irrtum“ und „romantischen Vorstellungen“. Mit Blick auf die Demonstrationen gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 warnte er vor einer Protestkultur, „die aufflammt, wenn es um den eigenen Vorgarten geht“. Auch den Ausstieg von CDU und FDP aus der Atomkraft nach Fukushima sah er kritisch. Solche Entscheidungen dürfe man nicht von der „Gefühlslage der Nation“ abhängig machen. Die deutsche Neigung zu Hysterie und Angst sei „abscheulich“.

Ja, so kennt man den Pastor und Bürgerrechtler. Gauck beklagt sich gern über „eine vor 20 Jahren nicht vorstellbare antikapitalistische Welle in Deutschland“, steht als Transatlantiker stets eng an den Seiten der USA, setzt sich für die Vertriebenen und den Afghanistankrieg ein, schimpft auf die Montagsdemos gegen Hartz IV („töricht und geschichtsvergessen“), sagt nach der Finanzkrise: „Wer ausgerechnet der Wirtschaft die Freiheit nehmen will, wird mehr verlieren als gewinnen“, und zur Integrationsdebatte: „Es gibt Viertel mit allzu vielen Zuwanderern und allzu wenigen Altdeutschen“. Thilo Sarrazin attestierte er im Übrigen viel Mut.

Das sind doch viel prägnantere Formulierungen als „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“. Da sage noch jemand, die Bundespräsidentenposse sei beendet. Sie fängt gerade erst an, richtig interessant zu werden.

Kleiner Nachtrag, es ist Montag, der Tag danach. Die Nachrichtenagenturen melden: „Das Erwerbslosen Forum Deutschland hat die Einigung auf Gauck als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt heftig kritisiert. Wer Gegner der Hartz-IV-Gesetzgebung als töricht und geschichtsvergessen bezeichne und die „Occupy“-Bewegung für unsäglich albern halte, „muss sich fragen lassen, ob er wirklich ein Bundespräsident für alle werden kann“, erklärte die Arbeitsloseninitiative.

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