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Der linke US-Filmemacher Michael Moore (2. v. r) hält die USA keineswegs für bankrott.

© AFP

Kontrapunkt: Amerika ist nicht pleite

Amerika gilt als beinahe bankrott. 14,3 Billionen Dollar soll die Gesamtverschuldung der USA demnächst erreichen. Carsten Kloth über eine andere Sicht der Dinge – die des US-Filmemachers Michael Moore.

Die Höhe der amerikanischen Staatsverschuldung ist schwindelerregend. Die bislang gesetzlich festgelegte Schuldenobergrenze von 14.300.000.000.000 US-Dollar soll bald erreicht sein. Nun hat sich auch noch der weltgrößte Rentenfonds, der Total Return Fund der Allianz-Tochter Pimco, von sämtlichen US-Schuldenpapieren getrennt – ein eindeutiges Alarmsignal. Angeblich kaufen auch die Chinesen, die bislang die Verschuldungsorgie der Amerikaner getragen haben, keine US-Staatsanleihen mehr. Die Angst vor einem neuen Crash in den USA ist da.

In den USA selbst tobt unterdessen ein ideologischer Streit über den Umgang mit der Finanznot. Die US-Republikaner nutzen die angespannt Haushaltslage als Vorwand für den Abbau von staatlichen Leistungen. So macht der neue republikanische Gouverneur von Wisconsin, Scott Walker, die Gewerkschaften der öffentlichen Bediensteten für die Finanznot im Staat verantwortlich. Er möchte nicht nur die Personalkosten für die Staatsdiener senken, sondern auch die Macht ihrer Gewerkschaften per Gesetz auf Lohnverhandlungen beschränken und Sozialleistungen davon ausnehmen.

Doch damit hat er eine massive Protestwelle ausgelöst: Zehntausende demonstrieren schon seit Wochen in Wisconsins Hauptstadt Madison gegen die Pläne – zwischenzeitlich besetzten sie gar das Kapitol. Einige Senatoren der Demokratischen Partei verließen den Staat, damit entsprechend der Geschäftsordnung keine Abstimmung über das Gesetz möglich ist. Ähnliche Konflikte zwischen Gewerkschaften und Republikanern gibt es inzwischen auch in anderen Bundesstaaten wie Ohio und Indiana. 

Nun hat sich der Filmemacher Michael Moore („Bowling for Columbine“, „Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“) mit den Demonstranten solidarisiert. In gewohnt provokanter und unterhaltsamer Art und Weise meldete er sich am 5. März zu Wort. Seine Rede in Madison, Wisconsin, in Auszügen:

„Im Gegensatz zu dem, was die Mächtigen euch glauben machen wollen, damit ihr auf eure Renten verzichtet, eure Löhne kürzt und so lebt wie eure Großeltern, ist Amerika nicht pleite. Nicht im Allergeringsten. Das Land quillt über vor Wohlstand und Geld. Es ist nur nicht in euren Händen. Mit dem größten Raubzug der Geschichte wurde es von den Arbeitern und Konsumenten zu den Banken und Portfolios der Superreichen umverteilt.

Heute verfügen nur 400 Amerikaner über ein Vermögen wie die Hälfte aller Amerikaner zusammen.

Lasst mich das wiederholen: 400 obszön reiche Leute, die meisten von ihnen profitierten in irgendeiner Weise von der Multibillionen-Steuerzahler-Rettungsaktion von 2008, haben nun genauso viel Knete, Aktienkapital und Eigentum wie das Vermögen von 155 Millionen Amerikanern zusammen. Wenn man das nicht einen finanziellen Putsch nennt, dann ist man einfach nicht ehrlich mit dem, was man im Innersten als Wahrheit erkennt.

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Und ich weiß, warum das so ist: Einzugestehen, dass wir es einer kleinen Gruppe von Leuten erlaubt haben, den Großteil unseres ökonomischen Reichtums anzuhäufen und sich mit ihm aus dem Staub zu machen, würde bedeuten, die beschämende Erkenntnis zu akzeptieren, dass wir unsere heißgeliebte Demokratie einer vermögenden Elite überlassen haben. Wall Street, Banken und die 500 umsatzstärksten Unternehmen regieren nun dieses Land – und, bis zum letzten Monat, fühlten sich die meisten von komplett hilflos, unfähig irgendwas dagegen zu tun. (...)

Wenn diejenigen, die das meiste Geld haben, nicht ihren fairen Anteil an Steuern zahlen, kann der Staat nicht funktionieren. Die Schulen können nicht die Besten und Klügsten hervorbringen, die dann neue Jobs schaffen. Wir haben gesehen, was die Reichen machen, wenn sie das meiste Geld für sich behalten: Sie zocken rücksichtslos an der Wall Street und reißen unsere Wirtschaft in den Abgrund. Der Crash, den sie verursachten, kostet uns Millionen Arbeitsplätze. Auch das verursacht einen Rückgang der Steuereinnahmen. Jeder von uns leidet unter dem, was die Reichen taten.

Die Nation ist nicht pleite, meine Freunde. Wisconsin ist nicht pleite. Zu sagen, dass das Land pleite ist, bedeutet eine große Lüge zu wiederholen. (...) Die Wahrheit ist: Es ist sehr viel Geld im Umlauf. VIEL. Nur haben die Mächtigen den Reichtum in einen tiefen Brunnen auf ihrem gut geschützten Grund und Boden umgelenkt. Sie wissen, dass sie dabei ein Verbrechen begangen haben und dass ihr eines Tages möglicherweise etwas von eurem Geld zurückhaben wollt. Daher haben sie im ganzen Land hunderte Politiker gekauft um ihre Interessen zu vertreten. Für den Fall, dass dies nicht funktioniert, haben sie ihre Gated Communities, der Luxus-Jet ist immer vollgetankt, bei laufenden Maschinen, wartend auf den Tag, von dem sie hoffen, dass er niemals kommt. (...)

Doch ihr in Wisconsin habt den schlafenden Riesen geweckt, die Werktätigen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Nun bebt die Erde unter den Füßen der Mächtigen. Eure Botschaft hat Menschen in allen 50 Staaten inspiriert, und die Botschaft lautet: Wir haben die Schnauze voll! Niemand soll uns sagen, Amerika sei pleite und kaputt. Das Gegenteil ist der Fall! Wir sind reich an Talenten und Ideen, an harter Arbeit und ja, an Liebe. Liebe und Mitgefühl für diejenigen, die unverschuldet in Not geraten sind. Auch sie wollen was wir alle wollen: Unser Land zurück! Unsere Demokratie zurück! Unseren guten Namen zurück! Es heißt: Die Vereinigten Staaten von Amerika. Nicht die Unternehmer-Staaten von Amerika. Die Vereinigten Staaten von Amerika!

Wie können wir das schaffen? Nun, mit ein wenig Ägypten hier und ein bisschen Madison da. (...) Und eines ist sicher: Madison ist erst der Anfang. Die selbstgefälligen Reichen haben den Bogen überspannt. Sie konnten nicht zufrieden sein mit dem Geld, das sie aus der Staatskasse geraubt haben. (...) Nein, sie wollen mehr – mehr als alle Reichtümer dieser Welt. Sie wollen unsere Seelen. Sie wollen uns unsere Würde nehmen. (...)

Und das, meine Freunde, ist der fatale Irrtum des Amerikas der Unternehmer. Indem sie versucht haben uns zu zerstören, haben sie bei der Geburt einer Bewegung geholfen – einer Massenbewegung, die sich zu einer gewaltlosen Revolte im Land ausbreitet. (...)

Amerika ist nicht pleite. Kaputt ist nur der moralische Kompass der Herrschenden. Wir wollen den Kompass reparieren und das Schiff von nun an selber steuern. Vergesst niemals, so lange unsere Verfassung besteht, gilt: eine Person, eine Stimme. Und das ist es, was die Reichen am meisten an Amerika hassen – auch wenn sie scheinbar alles Geld und alle Trümpfe in der Hand halten, so müssen sie doch widerwillig einsehen: Wir sind mehr als sie!“

Von Michael Moore. Übersetzung: Carsten Kloth 

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