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Im Netz finden sich Anleitungen für alles. Jeder, so suggerieren "How-to-Seiten", kann einen Schlangenbiss versorgen oder eine perfekte Sauce hollandaise kochen. Doch die Welt ist kein Piktogramm.

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Kontrapunkt: Aus Sicht der Piraten ist die Welt ein Piktogramm

Die Piraten sind Amateure, das ist ihr Programm. Überhaupt herrscht in der Netzkultur eine erschreckende Abneigung gegenüber allem, was professionell ist. Jeder, so die Illusion, kann mithilfe des Internets sein eigener Arzt, Politiker, Koch und Installateur sein. Ein Plädoyer für echte Profis.

Von Anna Sauerbrey

Es war eine der emotionaleren Runden im abendlichen politischen Fernsehprogramm. Ein harter Tag ging zu Ende, Schlecker pleite, Tausende Frauen auf der Straße, Kurt Beck redete sich in die Rage des Kümmerers und fuhr irgendwann den Piraten Christopher Lauer, der ihm ins Wort fiel, an: „Sie haben doch keine Ahnung, wovon sie reden.“ Worauf Christopher Lauer sinngemäß sagte, selber, selber, nur dass der Unterschied sei, dass die Piraten gar nicht so tun würden, als wüssten sie alles.

Diesen Schlagabtausch ist man schon gewöhnt und wird ihn noch öfter hören, jetzt, da die Piraten mit den Parlamenten auch die Sender entern. Die Etablierten spielen die Erfahrungskarte. Die Piraten machen ihre Unfertigkeit, ihre eigenen Wissens- und Kompetenzlücken zum Programm.

Das Beängstigende daran: Vieles spricht dafür, dass das mehr ist als ein rhetorischer Trick, mit dem sich die Parvenus der Parteienlandschaft aus einer wiederkehrenden Talkshow-Sackgasse zu befreien versuchen. In der Kultur, aus der sie kommen, der „Netzkultur“, herrscht allgemein großes Misstrauen gegenüber allem Professionellen. Das Netz, könnte man sagen, will die Herrschaft der Amateure. Es will die Dilettantur.

In Berlin zogen die Piraten erstmals in ein Länderparlament. Das ist die Fraktion im Abgeordnetenhaus:

Die Forderung nach radikaler Beteiligung und Transparenz erstreckt sich längst nicht mehr nur auf die Politik. Die Googlebarkeit von Wissen suggeriert, dass Experten generell nicht mehr gebraucht werden, sondern dass sich jeder alles jederzeit aneignen kann. Die „How-to-Seiten“ zelebrieren das Ikea-Prinzip: In zehn Bildern zum fertigen Möbel, zum reparierten Auto, zur perfekten Sauce hollandaise, zur Veröffentlichung des Debütroman. Das Netz erklärt, „wie man das Röntgenbild eines Brustkorbes auswertet“. Die Anleitung auf „HowToWiki“ reicht von „Stellen Sie sicher, dass Sie das Röntgenbild des richtigen Patienten betrachten“ bis zu „Eine normale Herzsilhouette nimmt weniger als die Hälfte des Brustumfangs ein.“ Wir alle, suggeriert das Netz, werden unsere eigenen Ärzte, Installateure, Köche, Journalisten. Die Welt, ein Piktogramm.

So absurd das erscheint, hat die Infragestellung des Professionellen doch ihre Berechtigung. Professionalität kann in Kartelle münden, vor allem in sprachliche Kartelle, die den Profis die Kommunikation erleichtern, Nicht-Mitglieder des engen Zirkels vom Verständnis und damit vom Mitreden aber ausschließen. Professionalität kann dazu führen, dass Fehler kaschiert werden. Sie kann zu Abstumpfung gegenüber dem Einzelfall führen, etwa, wenn Ärzte „den Infarkt“ behandeln oder Journalisten sich fragen, was sie „mit dem Tsunami“ machen sollen. Professionalität schafft festgelegte Abläufe und bürokratische Apparate, die auf den Selbsterhalt ausgelegt sind. Grundlegende Reformen und die Fähigkeit, sich und den Apparat, dessen Teil man ist, von außen zu betrachten, gehen verloren. Als dieses Problem erkannt wurde, war das die Geburtsstunde der Beraterbranche.

Ende März kaperten die Piraten eine CDU-Webseite:

Die Notwendigkeit der Professionalität allerdings liegt ebenso auf der Hand. Üben und Ausüben machen das Handeln effizienter. Profis können von ihrem Beruf leben, das wiederum ermöglicht es ihnen, sich zu spezialisieren und in ihrer Sache immer besser zu werden, zu Gunsten der Allgemeinheit. Profis entwickeln Standards, sowohl, was die Ergebnisse ihrer Arbeit angeht, als auch in der Aus- und Weiterbildung. Nur die Arbeitsteilung ermöglicht die enorme Spezialisierung, die das hohe Wohlstandniveau in allen Teilen der Gesellschaft überhaupt erst möglich macht.

Für die Politik, soweit haben die Piraten recht, gelten besondere Regeln. Die Demokratie ist, formal betrachtet, die Herrschaft der Nicht-Experten. Doch wer in die Politik geht, sollte zumindest anstreben, möglichst viel zu wissen. Und das heißt, mehr zu wissen, als das, was Google ausspuckt. Einfach mal eingeben „Wie man regiert“ und zur Not auf die „Häufig gestellten Fragen“ zu klicken, reicht nicht aus. Oder, um es mit Kurt Beck zu sagen: „Das Leben ist halt so schwierig.“

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