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"Es gibt nicht viele Leute in Berlin, die außerhalb des politischen Betriebs wirklich arbeiten", sagt Philipp Mißfelder.

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Kontrapunkt: Berlin: Hauptstadt der Sprechblasenfacharbeiter

Woher kommt in Berlin eigentlich die Wertschöpfung? Außerhalb des politischen Betriebes würde doch niemand arbeiten, empört sich der CDU-Abgeordnete Philipp Mißfelder. Lorenz Maroldt kontert: Anstößig ist hier etwas anderes.

Der Bundestagsabgeordnete Philipp Mißfelder, CDU, kennt sich leidlich aus mit zweistelligen Arbeitslosenquoten; sein Wahlkreis ist Recklinghausen I. Noch besser aber weiß Mißfelder Bescheid in Berlin, jedenfalls in den von ihm in seiner „Arbeitsstadt“ (O-Ton M.) ausgewählten Kreisen, also Berlin I (Borchardt), II (Einstein Unter den Linden), III (Hotel de Rome) und IV (Parlamentarische Gesellschaft im Reichstag).

Philipp Mißfelder ist insofern ein prototypischer Vertreter seiner Zunft, und was seine Partei betrifft, auch einer seiner Generation (+-30). Er ist genau so frech, dass der Fraktionsvorsitzende ebenso wie der Schutzmann an der Ecke gerne mal ein Auge zudrückt, und genau so lieb, dass Mutti I (Zuhause) und Mutti II (im Kanzleramt) ein bisschen stolz sein können.

Kleine Jugendsünden sind längst verjährt und ins Gegenteil verkehrt. Hatte der kleine Philipp 2003 voll mutig getönt, er halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen, so leitet der Herr Mißfelder heute gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden der Senioren-Union den CDU-Initiativkreis „Zusammenhalt der Generationen“. Statt der Alten ärgert er heute lieber die Kinderlosen mit mit der fixen Idee, ihnen eine Strafzahlung für die Volksvermehrungsverweigerung aufzubrummen.

Neulich hat sich der Autor Moritz von Uslar mit Mißfelder in dessen Berliner Auswahlkreisen I und II getroffen, um mit ihm über sein schweres Los als Partyhopper in der Losermetropole zu sprechen. Ganz schlimm, das alles, stellte sich alsbald heraus, schlimm in Berlin und schlimm für Berlin. Es sei nämlich schwer, dozierte der Historiker M.A. Mißfelder, in dieser Stadt einen gesellschaftlichen Ehrgeiz zu entwickeln, da man bei Abendveranstaltungen auch ohne Einladung Zugang habe, so stand es jedenfalls in Uslars Geschichte, veröffentlicht von der „Zeit“.

Und dann enthüllte Mißfelder einen absoluten Downer, der eventuell doch vorhandenen Spurenelementen gesellschaftlichen Ehrgeizes den Rest gibt: Selbst seinen Praktikanten sei es gelungen, auf exklusiven Partys herumzustehen, empört sich der Dauervorsitzende der Jungen Union, und das auch noch „bis zum Morgengrauen“. Da lässt man sich als Recklinghausener mit gehobenem Anspruch doch lieber hängen. Kein Wunder, dass es nichts wird mit Berlin.

Feste feiern ist das eine, feste arbeiten das andere, aber auch damit ist es Mißfelders Feldforschung zufolge nicht weit her in Berlin. Mit dem elendsgeschulten Recklinghausener Ruhrgebietsblick zerlegt der Gesellschaftsgourmet tranchiermesserscharf die hauptstädtischen Innereien: „Es gibt nicht viele Leute in Berlin, die außerhalb des politischen Betriebs wirklich arbeiten“, sagt er, und: „Das ist schon ein Phänomen“. Man müsse sich bei dieser Stadt schon fragen, wo hier eigentlich die Wertschöpfung herkomme, beschreibt Autor Uslar des Politiker Mißfelders weitere Worte in dieser anstößigen Angelegenheit.

In der Tat ist es mit der Wertschöpfung in Berlin so eine Sache. Das produzierende Gewerbe hat sich weitgehend auf staatlich subventionierte Sprechblasenfacharbeiter konzentriert, die allerdings mangels heimischer Ausbildungsstätten aus allerlei deutschen Dörfern angeworben werden müssen, selbst aus Recklinghausen. Ihre Waren bieten sie jedoch lediglich untereinander feil, vorzugsweise in den Berliner Auswahlbezirken I, II, II und IV, so dass sie dauerhaft auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Sie schöpfen Werte ab, statt welche zu schaffen.

Philipp Mißfelder, der Mann, der noch nicht viele Leute getroffen hat in Berlin, die „wirklich arbeiten“, hatte sich übrigens laut Uslars Bericht sehr auf die Berlinale gefreut, genauer gesagt: auf Angelina Jolie. Er wollte auf sie an der Bar vom Borchardt warten.

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