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Die Piraten wollen etwas verändern. Jetzt können sie sich beim Bundesparteitag beweisen.

© dapd

Kontrapunkt: Bundesparteitag der Piratenpartei - Jetzt gilt's!

Seit der Berliner Abgeordnetenhauswahl stehen die Piraten im Licht der Öffentlichkeit. Jetzt treffen sie sich zum Bundesparteitag und müssen zeigen, dass ihr System tatsächlich funktioniert.

Eigentlich, so könnte man mit einem Hauch Ironie meinen, kann jetzt, wenige Stunden vor Beginn des achten Bundesparteitags der Piraten, des zweiten in diesem Jahr, nichts mehr schief gehen. Die Offenbacher Stadthalle steht bereit für den Ansturm von theoretisch bis zu 12.000 stimmberechtigten Piratenmitgliedern aus dem ganzen Bundesgebiet, der Twitter-Hashtag "#bpt112" ist etabliert. Fünf Kilometer Netzwerkkabel wurden verlegt, wie die Partei gestern stolz in einer Pressemitteilung mitteilte.

Im Vorfeld war es erstaunlich ruhig: Die Berliner Fraktion verkniff sich zuletzt neuerliche Peinlichkeiten, der wegen Besitzes von Kinderpornographie verurteilte Ex-Pirat Jörg Tauss kommt nach einem kurzen Hin-und-Her-Gezeter im Netz nun doch nicht nach Offenbach, dafür aber die Ex-Grüne Angelika Beer, die seit 2009 verteidigungspolitische Expertise in die Partei bringt. Und dank einer 20.000-Euro-Spende des Ex-Kommunarden Rainer Langhans an die Piratenpartei Bayern dürfte auch die chronisch wacklige Finanzierung piratischer Großereignisse zumindest ein Stück sicherer sein.

Ironiefrei möchte man dieser Tage kein Pirat sein, steuert die Partei doch auf die vielleicht größte Bewährungsprobe ihres bisherigen Bestehens hin: Im Licht der Öffentlichkeit muss sie beweisen, dass ihre Art, Demokratie zu machen, tatsächlich produktiv ist. Denen, die sie in ein bundesweites Umfragehoch geführt haben, müssen die Piraten jetzt zeigen, dass sie mehr sind als einfach nur ein leicht chaotischer Haufen junger, netzaffiner Sympathen.

Zwar wird wohl niemand erwarten, dass die Partei in nur zwei Tagen des Verhandelns im realen Leben zu einem Vollprogramm, zu umfassenden Positionen auch in bisher vernachlässigten Themenfeldern wie der Außen- oder Wirtschaftspolitik kommt. Die Sympathisanten der Partei schätzen wohl nicht zuletzt, dass Parteitage der Piraten eben keine Veranstaltungen zum Abnicken von Leitanträgen sind. Trotzdem möchte man die Piraten, deren interne Konflikte immer wieder öffentlich aufflackern, auf die einmalige Chance hinweisen, die sich ihnen bei der derzeit gegebenen Aufmerksamkeit bietet: ihre Themen, Verfahren und nicht zuletzt sich selbst in der Öffentlichkeit dieses Landes zu etablieren.

Die Voraussetzungen dafür, dass das nach Medienhype und Mitgliederschwemme bislang größte Treffen der deutschen Piratenpartei zu einem Erfolg wird, sind dabei in jedem Fall gegeben. Die in den vergangenen Monaten im Netz erarbeiteten Antragsbücher sind prall gefüllt, und längst nicht allem, was dort steht, ist Ernsthaftigkeit und Bedeutung über die netz- und datenpolitischen Kernthemen der Partei hinaus abzusprechen.

Auch die Tagesordnung, die eine Antragskommission ausgearbeitet hat, liest sich vielversprechend. Allerdings: Ob es die überhaupt durch das Plenum schafft, ist mehr als fraglich. Schon jetzt finden sich in Antragsbüchern und -fabrik zahlreiche mehr oder weniger ernst gemeinte Vorschläge, die einer pragmatischen Priorisierung und Zusammenfassung der Anträge eine Absage erteilt.

Die Behauptung, dass das System Piraten anlässlich des großen Zusammenkommens im realen Leben die größte Gefährdung durch sich selbst ist, ist nicht übertrieben gewagt: Wo nicht nur eine überschaubare Zahl Delegierter, sondern jedes anwesende oder - nach dem Wunsch einiger Hardliner der digitalen Demokratie - auch abwesende zahlende Mitglied über die Ausrichtung der Partei und ihres Parteitags entscheiden kann, ist allerhand Wahnsinn zu erwarten. Im schlimmsten Fall bereits dort, wo die transparenten Piraten in einer möglichen einleitenden Abstimmung der Anwesenheit der Presse eine Absage erteilen.

Es steht zu vermuten, dass bereits recht früh am Samstag an dieser wie an anderen Fragen, die zuallererst die Geschäfts- und Tagesordnung betreffen, die zukünftige Konfliktlinie der Partei, die bereits in der Berliner Fraktion schon einige Male erkennbar war, deutlich zutage treten wird. Wie die CDU zuletzt ihre gemäßigten Merkeltreuen und ihre konservativen Hardliner, die SPD Linke und Seeheimer, die Grünen Fundis und Realos werden die Piraten in Zukunft Pragmatiker und fundamentalistische "Piratiker" unter einen Hut bekommen müssen. Jene also, die nicht zuletzt aufgrund der Außenwirkung auf einen möglichst reibungslosen Ablauf bedacht sind.

Und jene, denen die extrem offene und damit manchmal auch extrem wenig zielführende Diskussionskultur über alles, auch über Inhalte geht. Dass zumindest manche der Letzteren bei Verstimmtheit durchaus willens und in der Lage sind, destruktive Netzphänomene wie Spammen und Trollen in die innerparteiliche Diskussion zu tragen, zeigt auch die hohe Zahl an offensichtlichen Schrottanträgen zumindest in der dem eigentlichen "Antragsportal" vorgeschalteten "Antragsfabrik" im Wiki der Partei. Nicht auszudenken, wenn dieser Ungeist auch den Bundesparteitag selbst ergreifen sollte.

Vorerst muss aber mit dem Besten gerechnet werden: Auf Bundes- und Berliner Landesebene haben die Piraten in den vergangenen Monaten genug Fehler gemacht, um aus ihnen lernen zu können. Zudem erwartet wohl zumindest aus dem Kreis der potentiellen Wähler niemand Übermenschliches von einer Partei, die nach wie vor in der Selbstfindungsphase ist.

Allein: Die teilweise destruktive, rechthaberische, zum Teil auch zutiefst bürokratiefixierte Diskussionskultur der Nerds sollte - im Sinne einer (weiterhin) wohlwollenden Öffentlichkeit und damit auch im Sinn der Piraten selbst - keine allzu wunderlichen Blüten treiben. Um es in fünf Worten auszudrücken: Auf geht's, Piraten! Jetzt gilt's!

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