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Kontrapunkt: Die Piratinnenfrage - oder wie Ausschlüsse funktionieren

Auch wenn die Piraten es nicht mehr hören wollen: Um die Frage, warum sie so unattraktiv für Frauen sind, kommen sie nicht herum. Das Leugnen der Geschlechterproblematik verstärkt sie nur.

Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein, sagt Marx. Was dieser Satz bedeuten könnte, kann man sehr schön bei der Frage nachvollziehen, warum es in der Piratenpartei so wenige Frauen gibt.

Es geht bei dieser Frage um Privilegien und Ausschlussmechanismen. Welche Privilegien denn, höre ich da den Piraten entsetzt fragen. Das ist doch das Gegenteil von dem, was wir wollen! Das Seltsame an Privilegien ist aber, dass es oft schwerfällt, die eigene privilegierte Position und das daraus folgende dominante und ausschließende Verhalten überhaupt zu erkennen.

Ein solcher Mechanismus funktioniert zum Beispiel, in dem der Dominante behauptet, dass ein Problem nicht existiere. Das kann ein Chef sein, der seinen Angestellten sagt, dass es in seinem Betrieb Mobbing nicht gebe. Das mag gut gemeint sein, bedeutet im Endeffekt aber, dass der Angestellte, der sich gemobbt fühlt, sich eher fragen wird, ob etwas mit seinem Empfinden unnormal ist, als sich vertrauensvoll an den Chef zu wenden. Das kann ein Lehrer sein, der sagt, dass er alle Kinder gleich behandelt, egal ob sie Kevin, Djihad oder Ole heißen. Der Lehrer meint das wirklich so. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Realität eine andere sein kann. Diskriminierende Verhaltensweisen beruhen selten auf tatsächlich böser Absicht, sie sind unbewusst wirksam.

Auch die Piraten meinen es wahrscheinlich nicht böse. Bei ihnen ist das, was nicht existiert und deshalb auch kein Problem erzeugen kann, das Geschlecht. Bei der Mitgliedererfassung wird nicht nach Geschlecht differenziert, bei der Präsentation der Abgeordneten heißt es: „15 Piraten und kein Geschlecht.“ Wer darauf hinweist, dass von den 15 nur eine Person weiblich ist, hat es halt nicht verstanden, dass sie doch längst "postgender" sind. Wer darauf hinweist, dass der (geschätzte) Frauenanteil wahrscheinlich nur im Vatikan und der Penthouse-Community niedriger ist und damit die Hälfte der Bevölkerung nicht repräsentiert wird, wird mit genervtem Augenrollen quittiert. Auch die wenigen Piratinnen, die es gibt, wollen sich nun weigern, sich weiter mit dieser Frage zu beschäftigen. Frauen (so man denn auf diese veraltete Kategorie Wert legt) sind doch willkommen! Aber wenn sie nicht wollen, sollen wir sie dann zwingen?

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Mit dem Willkommenfühlen ist es aber so eine Sache. Der Kabarettist Hagen Rether hat das in Bezug auf die Integrationsthematik mal sehr schön mit dem Beispiel eines Kindes, das neu im Kindergarten ist, illustriert. Wenn das Kind nach vier Wochen immer noch verschüchtert in der Ecke sitzt, würden Sie dann das Kind beschuldigen? Oder würden Sie nicht eher die Erzieher und Erzieherinnen verantwortlich machen? Mit dieser Haltung, dass die Unterprivilegierten, die Zuwanderer, die Bringschuld haben, wurde jahrelang auf eine vernünftige Integrationspolitik verzichtet.

Die Piraten verweigern sich bisher der Frage, warum sie für Frauen und im übrigen auch für Migranten, unattraktiv sind. Sie verstehen sich selbst als einen basisdemokratischen Haufen, der allen offen steht. Tatsächlich ist ihre Mitgliederstruktur aber homogen und besteht fast ausschließlich aus den gesellschaftlich Privilegierten: junge, weiße, gebildete Männer. Michael Angele schreibt dazu im "Freitag":

„Was haben die Piratenpartei und die NPD gemeinsam? Nun, die Mitglieder beider Parteien sind fast durchweg männlich, jung und deutsch. Die Köpfe der Piratenpartei in Berlin heißen Baum, Spieß, Herberg, Weiss, Reinhard, Hönfinghoff, Delius, Schlosser, Pabst etc. Im Fußball fände man eine ähnliche Aufstellung vielleicht noch in der Kreisliga der Herren von Nordvorpommern.“

Das Problem der männlich-weißen Dominanz ist nicht nur ein Problem der Piratenpartei, es ist bei allen Parteien anzutreffen. Und natürlich nicht nur in Parteien, es betrifft alle Ebenen der gesellschaftlichen Teilhabe. Andere Parteien behelfen sich dabei mit Quoten oder einer anderen Art der Förderung. Diese Instrumente werden selten als ideal, meistens aber als notwendig angesehen. Die Piraten allerdings verweigern nicht nur die Quote, sondern auch die Diskussion.

Als in der Taz die Genderberaterin Regina Frey sehr sachlich darlegte, warum bestimmte Strukturen und Mechanismen bei den Piraten für Frauen unattraktiv sind oder diskriminierend wirken können, wurde sie in den Leserkommentaren mit Häme und Verachtung überschüttet – und viele der Kommentierenden outeten sich explizit als Piraten.

Die Journalistin und Bloggerin Antje Schrupp erklärt das Verständnisproblem der Piraten mit einer schönen Analogie:

„Bei den Piraten gibt es immer Nusskuchen, weil die den total lecker finden. Viele Frauen mögen aber Nusskuchen nicht so besonders gerne. Deshalb gefällt es ihnen bei den Piraten nicht so gut wie den Männern, und sie kommen nicht. Die Piraten wissen das nicht, denn sie sind fast alle Männer und ihnen schmeckt Nusskuchen total gut. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass es Leute gibt, denen der nicht schmeckt. Sie bedauern es ein wenig, dass die Frauen wegbleiben, sie geben sich sogar große Mühe, sie nicht zu diskriminieren, sie bieten ihnen zum Beispiel ganz bereitwillig die Hälfte vom Nusskuchen an. Und tatsächlich gibt es ja auch ein paar Frauen bei ihnen, die Nusskuchen auch total klasse finden. Und noch ein paar andere Frauen, die sagen, ist mir egal, welchen Kuchen es hier gibt, ich will unbedingt bei den Piraten dabei sein.“

Was ist es, das Frauen von Parteien und speziell von den Piraten abhält? Lesen Sie weiter auf der letzten Seite.

Es ist nämlich nicht so, dass Frauen sich generell nicht (politisch) engagieren. In Bürgerinitiativen oder ehrenamtlichen Projekten sind sie oft in der Mehrheit. Was ist es, das sie von Parteien und speziell von den Piraten abhält?

Mögliche Antworten: Die Piraten-Themen rangieren auf der Prioritätenliste vieler Frauen vielleicht eher auf den hinteren Rängen, das Lebensmodell der jungen, weißen, ungebundenen Großstadtnerds hat mit der Lebensrealität vieler Frauen einfach eine zu geringe Schnittmenge. Oder, wie Sibylle Berg schreibt: „Auch die Piraten werden sich nicht um kostenlose Kinderbetreuung oder vernünftige Renten für Frauen in Pflegeberufen kümmern.“ Das ganze (erinnern Sie sich noch an Gerhard Schröder?) „Gedöns“ eben.

Vielleicht sind es auch die Strukturen, die abschrecken oder einfach langweilen. Ob sich eine Männerrunde schenkelklopfend über Fußball und Titten amüsiert oder sich tagelang über eine Politikerin totlacht, der die Formulierung vom „Internetgucken“ herausgerutscht ist, macht keinen so großen Unterschied. Wie ist die Diskussionskultur, welche sprachlichen Codes, die eventuell ausschließend wirken könnten, werden eingesetzt?

Und dies sind nur einige Punkte, die man sich einmal ergebnisoffen anschauen könnte.

Natürlich, wenn die Piraten als Männer- und Nerdinteressenvertretung weitermachen wollen, können sie das gern tun. Sollten sie aber Wert darauf legen, auch von Frauen, Migranten und eventuell Fernsehzuschauern gewählt zu werden oder diese gar als Mitglieder zu gewinnen, dann müssen sie sich der Diskussion stellen und ihr eigenes Verhalten kritisch und transparent hinterfragen. Und das wiederum würde doch wie die Faust aufs Einauge zu ihnen passen.

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