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Sie haben eine neue Nachricht - von Ihrem Chef. Weit über die Hälfte aller Arbeitgeber ist Umfragen zufolge auch nach Dienstschluss erreichbar.

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Kontrapunkt: Flexible Arbeitszeitmodelle müssen her

Arbeitnehmer sollen immer und überall erreichbar sein, umziehen, umschulen, nicht jede Überstunde abrechnen. Die Arbeitgeber hingegen zeigen sich oft wenig flexibel.

Von Anna Sauerbrey

Das ist Arbeitsmarktgerechtigkeit: Innerhalb von einer Woche hat sich Ursula von der Leyen zwei Mal unbeliebt gemacht. Zuerst bei den Arbeitnehmern. Die CDU-Ministerin hat vorgeschlagen, die Schlecker- Frauen sollten doch Erzieherinnen werden, in dieser Berufsgruppe herrsche schließlich Mangel. Zünftige Empörung unter den Arbeitnehmern: Die Arbeit der Erzieherinnen, entwertet! Die zufriedenen Verkäuferinnen, brutal zum Berufswechsel gezwungen!

Zum Ausgleich rührte die Ministerin dann den Arbeitgebern einen Löffel Salz in den Kaffee. Sie forderte klare Regeln für die Erreichbarkeit von Mitarbeitern außerhalb der Kernarbeitszeiten. Dass Arbeitnehmer ständig nach Dienstschluss hektisch zum schrillenden Handy laufen, sei eine große psychische Belastung. Beleidigte Schnute bei den Arbeitgebern: Leistungsbereitschaft dürfe nicht zwangsweise eingeschränkt werden, näselte ein Sprecher der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände.

Beide Debatten kreisen im Kern um dieselbe Abwägung: Was ist zumutbar? Wie viel Flexibilität dürfen Arbeitgeber Arbeitnehmern abverlangen? Hat man das Recht darauf, immer dasselbe zu machen? Ist es normal, dass Mitarbeiter rund um die Uhr erreichbar sind? Ist es eine überkommene Haltung aus der Wirtschaftswunderzeit, jede Überstunde minutiös über das Arbeitszeitkonto abzurechnen?

Was die Löhne angeht, hat der implizite Vertrag zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Überwindung der Wirtschaftskrise in den vergangenen Jahren gut funktioniert. Zuerst haben die Arbeitnehmer viel zur Stabilität der Wirtschaft beigetragen, indem sie Kurzarbeit und damit Lohnausfälle ohne Murren akzeptiert haben. Damit konnten die Gewerkschaften zuletzt bei Tarifverhandlung pokern und haben oft gute Abschlüsse erreicht, Ende Mai zum Beispiel 4,3 Prozent mehr Lohn für die Metaller in Baden-Württemberg.

Einen ähnlichen virtuellen Vertrag sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber auch schließen, was die Flexibilität angeht. Ohne Zweifel wandelt sich die Arbeitswelt – gerade unter gut qualifizierten Arbeitnehmern sterben Jobs aus, die sich auf die Kernzeit von neun bis fünf Uhr begrenzen lassen. Die technische Entwicklung macht es möglich, vieles von unterwegs und zu Hause zu erledigen. Laut dem IT-Branchenverband Bitkom sind bereits 88 Prozent der Arbeitnehmer auch in ihrer Freizeit erreichbar, der DGB spricht von 60 Prozent, die nach Dienstschluss noch verfügbar sind.

Das kann Fluch oder Segen sein, zurzeit ist es für die Arbeitnehmer eher noch ein Fluch. Zwar erwarten viele Arbeitgeber ein hohes Maß an Flexibilität (Reisen, unorthodoxe Arbeitszeiten, lebenslanges Lernen), sind aber mit flexiblen Arbeitszeitmodellen eher knausrig. Zu lesen war dieser Tage die Geschichte der Leiterin des Marburger Kulturdezernats. Die Alleinerziehende möchte sich den Job gern teilen, der Oberbürgermeister ist einverstanden, doch das Regierungspräsidium sagte nein. Das ist Alltag.

Hier sollte Arbeitsmarktpolitik ansetzen. Statt den Chefs Anrufe bei ihren Mitarbeitern nach 18 Uhr zu verbieten, sollte von der Leyen sie dazu bewegen, bei Arbeitszeitmodellen endlich kreativer zu werden. In einer Arbeitswelt, in der es selbstverständlich ist, auf dem Laptop im Zug nach Hause schnell noch die Grafiken einer Präsentation zu optimieren, sollte es auch selbstverständlich sein, nachmittags zu einer Schultheateraufführung zu gehen oder zu einem Kurzbesuch bei der pflegebedürftigen Mutter, Teilzeit zu arbeiten und Stellen zu teilen.

Insgesamt wäre damit auch den Arbeitgebern gedient, die den Fachkräftemangel fürchten. Das Institut zur Zukunft der Arbeit hat 2011 festgestellt, das rund 1,1 Millionen nicht erwerbstätige Mütter mit Berufsausbildung oder akademischem Abschluss gern arbeiten würden – wenn es denn flexible Arbeitszeitmodelle gäbe. Vielleicht taucht das Zauberwort von der Flexibilität ja bald nicht mehr nur in Bewerbungsschreiben auf, sondern auch in Stellenanzeigen.

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