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Verlässt aus Protest die Berliner Akademie der Künste: Rolf Hochhuth.

© dpa

Kontrapunkt: Hochhuts Rückzug - ein Blick in den Abgrund

Rolf Hochhuth verlässt aus Protest gegen Günter Grass und dessen Gedicht „Was gesagt werden muss“ die Berliner Akademie der Künste. Unser Autor Malte Lehming meint: Das lässt tief blicken. Und zwar abgrundtief.

Wer in einem Land lebt, in dem sich Künstler und Sänger gerne auch „Kulturschaffende“ und „Liedermacher“ nennen, wundert sich über geistige Verwirrungen von angeblichen Geistesgrößen kaum noch. Er versteht, warum sie sich in Vereinen wie dem PEN-Zentrum oder der Akademie der Künste organisieren, obgleich ja jeder Verein, um Karl Kraus zu zitieren, per definitionem ein Verein gegen die Kultur ist. Mit anderen Worten: Was sich in Deutschland als „Verein für die Kultur“ tarnt, ist in Wahrheit stets ein „Verein gegen die Kultur für die Kultur“, was dann in Sachen Kultur-Engagement auf ein Patt hinausläuft.

Am Wochenende trat der Dramatiker Rolf Hochhuth (81) aus der Berliner Akademie der Künste aus. Zur Begründung sagte er, er habe verhindern wollen, dass in der Vollversammlung der Akademie über das Gedicht von Günter Grass (84) „Was gesagt werden muss“ diskutiert wird. „Keiner der Anwesenden, der sprach, fand nicht ,Gründe’ zu seinen Gunsten, stets auf Kosten der Juden“, so Hochhuth. Dabei hätte ein solches „antisemitisches Pamphlet sehr gern Julius Streicher in seinem ,Stürmer’ gedruckt“. Die Diskussion in der Akademie sei „einseitig, zugunsten des Irans und der Palästinenser“ verlaufen. „Ich weigere mich, zwischen Antisemiten zu sitzen.“

Das sind recht kräftige Worte eines Schriftstellers, der sich mit Grass traditionell um den Chefposten des obersten Moralinterventionisten des Landes rangelt. Schon vor einem Monat war Hochhuth wegen des Gedichts von Grass der Kragen geplatzt: „Du bist geblieben, was Du freiwillig geworden bist: der SS-Mann, der das 60 Jahre verschwiegen hat, aber den Bundeskanzler Kohl anpöbelte, weil der Hand in Hand mit einem amerikanischen Präsidenten einen Soldatenfriedhof besuchte, auf dem auch 40 SS-Gefallene liegen – nie gab es einen meisterhafteren Tartuffe als Dich.“

Bildergalerie: Die Affäre um Grass' Israel-Gedicht

Nun greift auch Hochhuth bisweilen daneben. Sein christliches Trauerspiel „Der Stellvertreter“ lenkte in gewisser Weise raffiniert von der Schuld der Deutschen ab, indem es statt dieser die Haltung des Heiligen Stuhls zum Nationalsozialismus und Holocaust thematisierte. Bei der Entlarvung des ehemaligen Ministerpräsidenten Hans Filbinger als NS-Richter wiederum unterliefen Hochhuth, wie sich später herausstellte, schwere handwerkliche Fehler. Und seine Verteidigung des Holocaustleugners David Irving als „ehrenwerten Mann“ kommt nah an das Grass’sche Irrlichtern heran.

Dennoch deutet der demonstrative Akt seines Austritts aus der Akademie auf eine Besonderheit hin: Kaum eine Zunft hat Grass und sein Gedicht so vehement verteidigt wie die der deutschen Künstler und Schriftsteller, oder genauer: deren organisierte Repräsentanten. Wofür man als Korpsgeist noch ein gewisses Verständnis haben könnte, entpuppt sich rasch als ein in sich geschlossener Kreis von ideologisch Gleichgepolten.

Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck (74), meint: „Man muss ein klares Wort sagen dürfen, ohne als Israel-Feind denunziert zu werden. Die reflexhaften Verurteilungen als Antisemit finde ich nicht angemessen.“ Nun ist Staeck ein Nachfolger von Grass an der Spitze der Akademie und als solcher vielleicht ebenso befangen im Urteil wie ein anderer Nachfolger, Adolf Muschg (77). Der gab zu Protokoll, „über die massive Front“ gegen Grass nur staunen zu können, und er fragt: „Warum führt die Brandwarnung – selbst wenn sie unbegründet wäre – nicht weiter als bis zur Hinrichtung des Feuermelders?“ In seinem Gedicht hatte Grass geschrieben, die Atommacht Israel bedrohe den Weltfrieden und wolle das iranische Volk mit einem Erstschlag auslöschen.

Auch der Präsident des deutschen PEN-Clubs, Johano Strasser (73), sprang Grass beflissen bei. „Es war völlig richtig, sich gegen die Politik der jetzigen Regierung in Israel zu stellen.“ Die Reaktionen hätten gezeigt, dass sich ein Teil der israelischen Regierung offenbar ertappt gefühlt habe. Mit deren Politik könne in der Region niemals Frieden geschaffen werden. Strasser, der schriftstellerisch zwar nie den Durchbruch schaffte, dafür aber in einem Sittlichkeitsverfahren rechtskräftig verurteilt wurde, was seine akademische Karriere verhinderte, regiert den PEN seit zehn Jahren. Ab Donnerstag dieser Woche findet im thüringischen Rudolstadt dessen Jahrestagung mit mehr als hundert Teilnehmern statt. Besondere Höhepunkte sind die Lange Einkaufsnacht in Rudolstadt bis 24 Uhr und der nicht öffentliche Clubabend im „Schlossrestaurant Kochberg“.

Nebenbei wird man erneut die Gelegenheit nutzen, sich mit dem PEN-Ehrenpräsidenten Grass uneingeschränkt solidarisch zu zeigen. Zwar liege ein Antrag vor, dem Literaturnobelpreisträger wegen dessen Gedicht die Ehrenpräsidentschaft zu entziehen, doch der, sagt Strasser, werde „hundertprozentig mit großer Mehrheit abgelehnt“. Na klar. Auch Hochhuth ist übrigens noch Mitglied des PEN-Zentrums. Und das Motto der PEN-Jahrestagung stammt aus den „Piccolomini“ von Friedrich Schiller (Wallenstein). Es lautet: „Stets ist die Sprache kecker als die Tat.“

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