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Überwachungskameras können bei der Tätersuche helfen und schrecken ab, brutale Attacken wie zuletzt auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße können sie aber auch nicht völlig verhindern.

© dapd

Kontrapunkt: Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht

Trotz Kameras und mehr Polizei im Nahverkehr: brutale Attacken, unmotiviert und blindwütig, wird es leider auch künftig in Berlin geben. Gerd Nowakowski schreibt im aktuellen Kontrapunkt über notwendige Maßnahmen gegen Gewalt - und sinnfreie Debatten.

Über Jugendarbeit müsse erreicht werden, "dass Gewalt uncool ist". Das ist zumindest ein neuer Gedanke, den Frank Henkel, Spitzenkandidat der Berliner CDU, in die Debatte bringt, in der schnell von härteren Strafen und Warnschussarrest die Rede ist. Ob so viel Hoffnung in Sozialarbeit berechtigt ist, darf man nach der brutalen Tat auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße bezweifeln. Denn Gewalt kommt in besten Familien vor, nicht nur in schwierigen Verhältnissen. Nur die Justiz reagiert unterschiedlich.

Die Jugendlichen aus prekären Familien, die vor zwei Monaten auf dem Bahnhof Lichtenberg einen Mann halbtot schlugen, sitzen in Haft wegen versuchten Mordes. Der 18-jährige Oberschüler aus gutem Hause in Heiligensee durfte nach Hause gehen: so viel zum Thema Abschreckung. Und ermittelt wird wegen versuchten Totschlags. Den Eindruck von Klassenrecht, dass hier mit unterschiedlichem Maß gemessen wird, sollte die Justizbehörde aus dem Weg räumen. Das Gerechtigkeitsempfinden aber ist allemal gestört. Der Ruf nach einem Warnschussarrest wirkt da seltsam. In Berlin wäre schon hilfreich, wenn junge Schläger so schnell verurteilt werden, dass sie sich noch an ihre Tat erinnern können.

Noch etwas ist den Taten gemeinsam. Schockiert sind die Berliner auch wegen der dokumentierten Brutalität. Zugleich haben die Videos in beiden Fällen zur schnellen Aufklärung beigetragen: Wir kriegen euch – das ist nicht das schlechteste Drohung. Nur müsste sich Berlins Datenschutzbeauftragter überzeugen lassen, dass es nicht des Teufels ist, die Aufnahmen so lange zu speichern, dass sie nicht schon gelöscht sind, bevor die Polizei zugreifen kann.

Man kann Berlins Senat nicht absprechen, dass er reagiert – anstehende Wahlen sind förderlich. Die Wiedereinführung der gemeinsamen Streifen von Polizei und BVG-Mitarbeitern erhöhen zweifellos das subjektive Sicherheitsgefühl. Die Berliner werden auch nur dann vermehrt ihr Auto stehen lassen und in die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen, wenn sie sich dort sicher fühlen. Überall in der Millionenstadt aber kann keine Polizei präsent sein; das mag selbst die CDU nicht versprechen, die Berlins 16.000 Polizisten um 250 Beamte aufstocken will. Wer übrigens auf das so sichere New York verweist: dort wurden 2010 bei 8,3 Millionen Einwohnern 536 Morde gezählt, in Berlin mit 3,5 Millionen Menschen waren es 34.

Trotz Kameras und mehr Polizei im Nahverkehr: brutale Attacken, unmotiviert und blindwütig, wird es leider auch künftig in Berlin geben – und nicht nur Jugendliche schlagen zu. Ohne couragiertes Eingreifen kann es in einer zivilen Gesellschaft nicht gehen. Man muss sich nicht selbst gefährden, wie es jener bayerische Tourist auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße tat. Es wäre aber ein richtiges Signal, wegen unterlassener Hilfeleistung gegen jene Zeugen vorzugehen, die der Gewalt ungerührt zusahen und nicht einmal aus sicherer Entfernung die Polizei alarmierten.

Das Opfer hat sich bei seinem Retter bedankt. Vom Täter, der von dem Helden aus Bayern immerhin gehindert wurde, ein Totschläger oder Mörder zu sein, ist dergleichen nicht bekannt. So gut erzogen ist man nicht mal in Heiligensee.

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