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Rainer Maria Woelki ist Katholik. Was auch sonst? Er soll neuer Erzbischof in Berlin werden.

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Kontrapunkt: "Ich bin katholisch – und das ist auch gut so!"

Rainer Maria Woelki, dem neuen Erzbischof von Berlin, schlägt schon früh viel Kritik entgegen. Aber, sagt Malte Lehming, weil man bislang noch kaum etwas über ihn weiß, spricht das vor allem gegen die Kritiker.

An einem Marxisten zu kritisieren, dass er für die klassenlose Gesellschaft kämpft, ist idiotisch. An einer Feministin zu kritisieren, dass sie sich zu stark für die Rechte von Frauen einsetzt, ist dumm. An einem Grünen zu kritisieren, dass er die Atomkraft ablehnt, ist albern. Idiotisch, dumm und albern ist auch manches, was zur Ernennung von Rainer Maria Woelki zum neuen Erzbischof von Berlin gesagt wurde.

Nehmen wir den SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs: "Die Katholische Kirche ist schlecht beraten, jemanden in die Hauptstadt zu schicken, der offenbar ein Problem mit Homosexuellen hat." Frei übersetzt heißt das: Die Katholische Kirche hätte einen Nicht-Katholiken nach Berlin schicken sollen. Denn klarer und eindeutiger als die Katholische Kirche verdammt kaum eine Organisation die Homosexualität. Und keiner ihrer hohen Vertreter – vom liberalen Kardinal Karl Lehmann bis zum konservativen Kardinal Joachim Meisner – weicht davon ab.

Der "Katechismus der Katholischen Kirche" ist, laut eigener Definition, eine "sichere und authentische Darlegung ihrer Lehre". Darin heißt es: "Gestützt auf die Heilige Schrift, die sie als schlimme Abirrung bezeichnet, hat die kirchliche Überlieferung stets erklärt, dass die homosexuellen Handlungen in sich nicht in Ordnung sind. Sie verstoßen gegen das natürliche Gesetz, denn die Weitergabe des Lebens bleibt beim Geschlechtsakt ausgeschlossen. Sie entspringen nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit. Sie sind in keinem Fall zu billigen."

Noch radikaler – man könnte auch sagen: homophober – formuliert es das 14-seitige Dokument aus dem Jahre 2003 "Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen". Darin werden alle Gläubigen zum Widerstand gegen die Legalisierung homosexueller Beziehungen aufgefordert. Unterzeichnet wurde es vom damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst. "Die Ehe ist heilig, während die homosexuellen Beziehungen gegen das natürliche Sittengesetz verstoßen." Wer der rechtlichen Anerkennung der "Schwulen-Ehe" zustimme, begehe "eine schwerwiegende unsittliche Handlung". Falls homosexuelle Paare Kinder adoptierten, würde dies "faktisch eine Vergewaltigung der Kinder" bedeuten.

Der damalige Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, begrüßte das Dokument. Denn auch für den angeblich Liberalen steht fest: "Homosexuelle Beziehungen lehnt die Kirche unmissverständlich ab, da die Geschlechtlichkeit nach der Schöpfungsordnung auf die eheliche Liebe von Mann und Frau hingeordnet ist." Lehmann ist auch gegen jede Anpassung an den Zeitgeist, "die die Prinzipien unseres Glaubens verrät". Freilich fügt er gern hinzu, dass homosexuell veranlagte Männer und Frauen nicht diskriminiert werden dürfen. Die Kirche liebe auch diese Menschen, verdamme aber deren sexuelle Handlungen.

Wer nun ausgerechnet vom neuen Erzbischof Woelki erwartet, sich von der offiziellen Lehrmeinung seiner Kirche in Sachen Homosexualität zu distanzieren, ist entweder naiv oder unwissend. Als Motiv der Kritik kommt freilich auch notorische Kirchenfeindschaft in Frage. Schließlich lässt sich jedem katholischen Würdenträger nachsagen, das kulturelle Lebensgefühl der Menschen in einer deutschen Großstadt nicht angemessen widerzuspiegeln. Mit anderen Worten: Die Ernennung von Woelki ist für viele seiner Kritiker nur eine günstige Gelegenheit, mal wieder die Rückständigkeit des Katholizismus an sich zu kritisieren.

Das aber ist billig, zumal sich in der Heftigkeit der Kritik oft ein impliziter Widerspruch verbirgt. Welcher katholische Bischof dem Erzbistum Berlin vorsteht, könnte den Lesben und Schwulen in der Stadt ziemlich egal sein. Ihr Schicksal, ihre Gleichberechtigung und gesellschaftliche Akzeptanz, wird von dieser Personalie kaum beeinflusst. Jedenfalls weit weniger, als es das auch von ihnen konstruierte Zerrbild jener mächtigen und einflussreichen Kirche suggeriert, gegen die sich zu stemmen angeblich immer noch herkulische Kräfte erfordert. Berlin ist überwiegend säkular geprägt, es ist die Welthauptstadt der Agnostiker und Atheisten. Wer auf Woelki eindrischt, unterschlägt das oft.

Und seine Nähe zu "Opus Dei"? Banal. Warum erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Das Wenige, was man vom neuen Erzbischof weiß, wird lustvoll gegen ihn gewendet. Nicht die unbefangene Neugier dominiert, sondern das kenntnislose Vorab-Verurteilen-Wollen. Beispiel "Opus Dei". Obwohl Woelki längst beflissen erklärt hat, kein Mitglied bei der Personalprälatur (einem Art Bistum ohne Territorium) "Opus Dei" zu sein, sondern nur an deren "Universität vom Heiligen Kreuz" seinen Doktor gemacht zu haben, sind die Alarmsirenen in Berlin auf volle Lautstärke gedreht.

Spätestens seit Dan Browns "Da Vinci Code – Sakrileg" kursieren üble Verleumdungen über die 1928 gegründete katholische Laienbewegung. Sie sei geheimbündlerisch, sektenähnlich, mafiaähnlich, ultrakonservativ, erziehe zu blindem Gehorsam, greife nach der Macht. Peter Hertels Buch "Schleichende Übernahme – Josemaria Escrivá, sein Opus Dei und die Macht im Vatikan" nährt solche Verschwörungstheorien.

Zum größten Teil widerlegt werden sie von dem 2005 erschienenen Standardwerk "Opus Dei: An Objective Look Behind the Myths and Reality of the Most Controversial Force in the Catholic Church". Der Autor, John L. Allen, arbeitet seit vielen Jahren als Spezialist für die Römisch-Katholische Kirche und den Vatikan aus Rom für CNN und NPR. Er schreibt außerdem für die "New York Times", "The Nation" und den "Miami Herald". Laut Allen ist der "Opus Dei" weder wohlhabend noch groß, ihm gehören 40 von weltweit 4500 Bischöfen an. Die ersten Gerüchte über die Organisation seien gezielt von Jesuiten gestreut worden, die den "Opus Dei" als Rivale empfanden. Später dann sei "Opus Dei" zum "Darth Vader of the liberal Catholic imagination" geworden.

Die Wahrheit ist wohl banaler. Das "Opus Dei" betont, weder eine Sekte noch ein Orden zu sein und keine eigene Lehre zu besitzen. Sowohl religiös-theologisch als auch weltanschaulich-politisch lehnt es sich eng an die offizielle katholische Lehre an. Es ist also so konservativ, erzkonservativ oder ultrakonservativ wie der Papst selbst. Mitglied kann jeder erwachsene Katholik werden, unabhängig von Beruf, Geschlecht oder Nationalität. Das Ziel ist, das Evangelium möglichst wahrhaftig zu leben, innerweltlich und im Geist der Bergpredigt. Das politische Handeln wird an der Soziallehre der Katholischen Kirche ausgerichtet.

Verständlicherweise befremdlich am "Opus Dei" wirken die von einigen Mitgliedern praktizierten Formen von Geißelung, Askese und Buße. Dazu gehören nicht nur das regelmäßige Fasten, sondern auch die Benutzung von Buß-Band (ein Band mit nach innen gerichteten Dornen, das am Oberschenkel getragen wird) und Buß-Geißel. Zwei Stunden täglich soll das Buß-Band getragen werden, und wöchentlich soll man sich geißeln. Dem liegt ein besonderes Verständnis von Sünde und Erlösung zugrunde: Indem der Gläubige freiwillig Leid auf sich nimmt und erträgt, ist er am Erlösungswerk der ganzen Menschheit beteiligt.

Das kann man abartig finden – und die meisten Berliner werden das auch. Doch in vergleichender Religionssicht verlieren solche Praktiken etwas von ihrer Exzentrik. In vielen Religionen und Weltanschauungslehren (bis hin zum Buddhismus, indischen Nagelmatten und einigen Yoga-Lehren) wird durchaus ein enges Verhältnis zwischen Askese, Fasten und dem Ertragen von Schmerz einerseits und der Erleuchtung, dem spirituellen Erleben und der Erlösung andererseits propagiert.

Rainer Maria Woelki wird es nicht leicht haben in Berlin. Das spürt er sicher schon. Vielleicht hülfe ihm ein kleiner Einstandswitz. Seine erste Pressekonferenz heute könnte er mit dem Satz beenden: "Ich bin katholisch – und das ist auch gut so!"

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