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Kontrapunkt: Klaus Wowereit ist der Berlin-Versteher

Klaus Wowereit klebt an Berlin wie die Klette am Filz, sagt Malte Lehming. Daran ist aber weder die Klette schuld noch der Filz. Denn jeder kriegt, was er verdient.

Klaus Wowereit versteht Berlin. Er ist der Richard David Precht der deutschen Hauptstadt. Er weiß, dass die Stadt mental noch geteilt ist, weshalb manchmal der Westen gequält werden muss (Schließung von Tempelhof und Tegel, Verhausschweinung des Bahnhofs Zoo) und manchmal der Osten (Flugrouten von BBI über’n Müggelsee). Das muss natürlich öffentlich gemacht werden, damit die Ossis wissen, wie die Wessis leiden - und umgekehrt.

Außerdem weiß Wowereit, dass die Stadt seit der Wiedervereinigung noch areligiöser und staatsfixierter geworden ist, als sie ohnehin schon war, weshalb der erfolgreiche Kampf gegen ein Wahlpflichtfach Religion wie ein Sieg über potenzielle Hexenverbrenner gefeiert und das regelmäßige Betteln um Bundeshilfen (Stadtstaatenprivileg, Länderfinanzausgleich) als historisches Recht auf immerwährende Subventionen wahrgenommen wird. Demonstrativ bleibt er der Amtseinführung des neuen Erzbischofs, Rainer Maria Woelki, fern und äußert „großes Verständnis“ (Verständnis allein wäre zu wenig gewesen) für Menschen, die gegen den Berlin-Besuch von Papst Benedikt XVI. demonstrieren wollen.

Ja, Klaus Wowereit versteht Berlin. Er weiß, dass es der fatalistischen Grundstimmung entspricht, für jedes Chaos und Verbrechen (Autoabfackelei, S-Bahn, Schnee und Glatteis) entweder die widrigen Umstände anzuführen oder es zu bagatellisieren („Wir sind hier in Berlin, nicht in Haiti“) oder aber die sensationslüsternen Medien für die Aufbauschung verantwortlich zu machen.

Außerdem weiß Wowereit, dass man die Eltern von Schulkindern nur lange und oft genug mit Reformen martern muss, damit sie am Ende entnervt aufgeben und nur noch einen Wunsch haben: Nie wieder möge irgendein Bildungssenator irgendetwas ändern! Lasst uns Jül, die 12 Jahre bis zum Abitur, das Losverfahren und die soziale Durchmischung, bloß nehmt die Finger weg von künftigen Experimenten! (Deshalb treibt dem Regierenden das Versprechen der Opposition, die Schulpolitik erneut reformieren zu wollen, damit sich etwas bessert, eher Stimmen zu.)

Ja, Klaus Wowereit versteht eben Berlin. Er weiß, dass die Menschen der Stadt nicht nur im Bildungsbereich mit Reformen und Revolutionen überschüttet wurden, weshalb sie in einem Maße veränderungsavers geworden sind wie allenfalls noch der Klerus im Vatikan. Wiedervereinigung, Privatisierungen, Hauptstadtwerdung, steigende Mieten, Zuzüge, Zoo, Tempelhof, Tegel: Nun ist endlich mal Schluss mit neu und anders! Deshalb will Wowereit auch gar nichts neu und anders machen, seine Visionen beschränken sich auf die möglichst reibungslose Umsetzung vorliegender Beschlüsse (Flughafen, A 100).

Warum Berlin bekommt, was es verdient, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Ja, dieser Klaus Wowereit ist schon ein ganz besonders gerissener Berlin-Versteher. Denn er weiß auch, dass er von einigen Problemen, die er selbst zu verantworten hat, gehörig profitiert. Je mehr Studenten, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger es gibt, desto mehr Menschen hängen von staatlichen Leistungen ab (Hartz IV bis Bafög). Je mehr Menschen von staatlichen Zuwendungen abhängen, desto größer ihre Bereitschaft, jene Parteien zu wählen, die ihnen diese Zuwendungen bis in alle Ewigkeit garantieren. Der gemeine Berliner will ja gar nicht, dass es mit der Stadt bergauf geht. Dann steigen die Mieten noch stärker, dann würden sich Leistungs- oder gar Elitebewusstsein ausbreiten, dann würden die Ansprüche an die Politik steigen (bessere Schulen, größere Sicherheit). Nein, in einer normalen, ambitionierten deutschen Großstadt hätte Wowereit keine Chance, Berlin dagegen ist wie geschaffen für ihn.

Denn obwohl die Stadt ein Magnet für junge Leute ist, steigt Jahr für Jahr sowohl die absolute Zahl als auch der prozentuale Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung an. Weder die Zuzüge noch der Kinderreichtum der Migranten stoppen diesen stetigen Vergreisungsprozess oder kehren ihn gar um. Senioren aber hängen am Bestehenden, sie bevorzugen Kontinuität – und sei es die im Amt des Regierenden Bürgermeisters. Ost-West-Spaltung, Nostalgie, Veränderungsaversion, Hauptstadtgehabe, Subventions-Mentalität: Klaus Wowereit hat genau die Stadt, die er verdient, und die Stadt hat mit ihm den Bürgermeister, den sie verdient.

Ist das auch gut so? Mangels Alternative erübrigt sich eine Antwort. Nur eins noch: Selbst vom Schicksal – sprich: der Bundespolitik – ist keine vorzeitige Auflösung dieser Liaison zu erwarten. Wowereit und die Bundespolitik? Das war einmal. 2009 hatte er alle Mühe, überhaupt als SPD-Vize nominiert zu werden, anschließend bekam er das schlechteste Ergebnis aller Mitglieder des neuen Führungsteams. Die Kanzlerkandidatur macht das Trio Gabriel-Steinmeier-Steinbrück unter sich aus.

Wowereit klebt an Berlin wie die Klette am Filz. Daran ist weder die Klette schuld noch der Filz. Und wo bleibt die Hoffnung? Unter Bauern heißt es: Man kann durchaus sagen, wann ein Ei verfault ist, auch wenn man selbst nicht in der Lage ist, ein frisches zu legen.

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