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Jede Sekunde zählt: Durchschnittlich elf Organe pro Tag werden in Deutschland transplantiert.

© dpa

Kontrapunkt: Leben retten, aber richtig

Bei der Organspende-Debatte soll es um die ganz großen Fragen der Ethik gehen, wieder einmal. Von einem lässt sich dabei kaum jemand stören: Das Leben tausender Kranker, die auf ein Organ warten, ließe sich durch bessere Organisation retten.

Es gibt zu wenige Organspender in Deutschland, und dieser Mangel lässt sich in Menschenleben ausdrücken: Tausend Patienten sterben jedes Jahr, während sie auf ein Organ warten. In ganz Deutschland gilt: Organspender wird, wer zu Lebzeiten selbst zugestimmt hat oder für wen die Hinterbliebenen entscheiden. Statistisch werden 15,9 von einer Million Deutschen nach ihrem Tod zu Spendern. Das ist viel zu wenig, und deshalb wollen Politiker wie Frank-Walter Steinmeier, Volker Kauder und Gesundheitsminister Daniel Bahr handeln. Dabei vergessen sie andere, viel wichtigere Zahlen: Statistische 34,2 Spender gibt es in Hamburg, nur 12,5 sind es in Baden-Württemberg.

Sind die Menschen im Südwesten unwillig, die Nordlichter hingegen selbstlos? Keineswegs. Die Debatte um Zustimmungs- und Entscheidungslösung, Ja, Nein und Vielleicht, Freiwilligkeit und Zwang lenkt nämlich von einem ab: dass Organspenden meistens an Fragen der Organisation scheitern, nicht am mangelnden Willen, sondern an falschen Strukturen auf Deutschlands Intensivstationen. Vielleicht ist diese Tatsache einfach zu schnöde, als dass sie sich für Schlagzeilen eignen würde.

Im Krankenhausalltag ist eine Organspende zunächst vor allem eines: Extra-Arbeit. Unabhängig voneinander müssen zwei Ärzte den Hirntod eines möglichen Spenders diagnostizieren; es gilt, Angehörige aufzuklären, zu beraten und zu begleiten. Allzu oft bleibt für all das keine Zeit. Die Lösung sind Transplantationsbeauftragte, die sich zuständig fühlen, wenn ein möglicher Spender in eine Klinik eingeliefert wird, Organisationsstrukturen, bei denen das Thema Organspende mitgedacht wird, geschulte Mitarbeiter. All das haben die Bundesländer und Krankenhäuser, in denen es viele Spender gibt - und all das ließe sich bundesweit umsetzen, ganz ohne Debatten über das Selbstbestimmungsrecht der Lebenden, die Hoffnung der Kranken und die Würde der Toten.

Das zeigt auch der Blick in das europäische Ausland: In Spanien gilt formal die so genannte Widerspruchslösung, als Organspender kommt in Frage, wer nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat. Eine Spenderquote von 34,4 verzeichnete das Land im Jahr 2009, und deshalb scheint so manchen, es müsse nur der Druck auf die Bürger erhöht werden, und schon gäbe es genügend Organspender. Das aber ist ein Trugschluss. In der Praxis machen die spanischen Ärzte von der Widerspruchslösung keinen Gebrauch. Hat ein potentieller Spender sich zu Lebzeiten nicht erklärt, geschieht auch in Spanien nichts gegen den Willen der Angehörigen. Das Geheimnis, auch dort: Transplantationsbeauftragte, die sich kümmern - auch um die Angehörigen, für die eine Organspende oft eine zusätzliche Belastung ist.

Ohnehin muss die Bundesrepublik eine EU-Richtlinie zur Organspende umsetzen, Transplantationskoordinatoren sind dabei - endlich - bundesweit geplant. Wer tatsächlich Todkranke retten möchte, muss sich darauf konzentrieren, diese Pläne mit Leben zu füllen. Ob dann die Bürger von ihren Krankenkassen zur Organspende gefragt werden oder von ihrer Führerscheinstelle, wann, wie und ob sie irgendwo ein Kreuzchen setzen - das ist gar nicht so wichtig, wie die Debatte glauben machen will.

Wie stehen Sie zum Thema Organspende, liebe Leser? Diskutieren Sie mit.

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