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Unter Dach und Fach. Die drei Verhandlungsführer Ralf Stegner (SPD), Anke Spoorendonk (SSW) und Eka von Kalben (Grüne, von links nach rechts) präsentieren am Sonntag den Koalitionsvertrag für die Bildung der künftigen Regierung in Kiel.

© dpa

Kontrapunkt: Migranten und Minderheiten in die Parlamente!

Der SSW in Schleswig-Holstein zeigt, wie Integration in Deutschland gelingen kann, meint Malte Lehming. Fremdheit überwinden durch Partizipation: Darum muss es gehen.

Gemessen daran, was sich Deutsche und Dänen im 19. Jahrhundert antaten, lässt sich das Verhältnis zwischen Salafisten und Pro-NRWlern in Nordrhein-Westfalen als entspannt bezeichnen. Legendär wie brutal etwa war die Schlacht an der Düppeler Schanze (1864), mit Hunderten von Toten, viele davon fielen im Nahkampf. Und bis heute hegt manch ein Schleswig-Holsteiner alles andere als freundschaftliche Gefühle, wenn er an die Nachbarn im Norden denkt. 

Doch das Dänentum gehört zu Deutschland, zweifellos. Kaum ein anderes Ereignis markiert das überzeugender als die so genannte Dänen-Ampel, auf die sich SPD, Grüne und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) jetzt in Kiel geeinigt haben. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ist damit die politische Interessenvertretung einer nationalen Minderheit in eine Regierung eingetreten. Der SSW war sogar das Zünglein an der Waage. Weil die Partei von der Fünfprozent-Sperrklausel befreit ist, sitzt ihre Vertreterin jetzt mit im Kabinett, verantwortlich für Justiz, Kultur und Europa. 

Ungefähr 50.000 Deutsche empfinden sich als Dänen. In Schleswig-Holstein gibt es rund fünfzig dänische Schulen, überwiegend finanziert von Kopenhagen, sowie eine zweisprachige Tageszeitung, die „Flensborg Avis“. Von Loyalitätskonflikten und Parallelgesellschaften redet kaum jemand. Dabei orientiert sich der SSW in vielen Programmpunkten – wie etwa der Flexibilisierung des Kündigungsschutzes – explizit am dänischen Vorbild. 

Dass die in die Opposition verbannte CDU jetzt tobt und gegen die Befreiung des SSW von der Fünfprozentklausel gerichtlich vorgehen möchte, war absehbar. Die Begründung der Konservativen indes, das Privileg sei nicht mehr zeitgemäß – diese Form des Minderheitenschutzes war u. a. eine Bedingung für den Nato-Beitritt Deutschlands – ist allerdings falsch. Das Gegenteil ist richtig: Das Beispiel des SSW lehrt, dass auch andere Interessenvertretungen von ethnischen oder nationalen Minderheiten zumindest auf Landesebene von der Fünfprozentklausel befreit werden sollten. 

So gerieten Pro-NRW und Salafisten aneinander:

Ob Türken, Russen oder Italiener in Berlin, Duisburg oder Hamburg: Politische Repräsentanz von Minderheiten muss generell stärker gefördert werden. Dabei ist es aus integrationspolitischer Perspektive egal, ob jemand eingewandert ist oder durch Kriegsverlauf plötzlich nicht mehr in der Heimat wohnt. Fremdheit überwinden durch Partizipation: Darum muss es gehen. 

Parteien sind Sammelbecken für Strömungen nicht minder als politische Integrationswerkzeuge der Demokratie. Die Generation der 68er sozialisierte sich über die Grünen, inzwischen hat sie das Gewaltmonopol des Staates akzeptiert, man schickt Bundeswehrsoldaten ins Kosovo und beschließt mit der SPD die Agenda 2010. Viele von der Einheit frustrierte und orientierungslose Ostdeutsche wurden lange Zeit via PDS eingemeindet, die Restbestände an Systemkritik starben langsam ab – und damit stirbt auch die Partei, die sich seit geraumer Zeit die Linke nennt. Viele politikfremde, internetaffine Geeks und Nerds werden wiederum durch die Piraten an die Gepflogenheiten des parlamentarischen Betriebs gewöhnt. Auch sie werden irgendwann Haushalte verabschieden,  Sparmaßnahmen verkünden und Bundeswehreinsätze absegnen.

Dasselbe sollte für all jene Migranten gelten, die sich abseits fühlen oder abseits stehen. Ihr Wille, sich politisch zu engagieren, muss von der Mehrheitsgesellschaft honoriert werden. Darum: Weg mit der Fünfprozent-Sperrklausel für Minderheitsvertretungen! Eine Dreiprozentklausel täte es auch. Wer als Einwand immer noch mit Ängsten vor Weimarer Verhältnissen argumentiert, lebt im Gestern. Die Exklusion gesellschaftlich relevanter Gruppen ist gefährlicher als ein möglicherweise etwas vergrößertes Parteienspektrum in den Parlamenten. Vom SSW lernen, heißt Integration lernen.

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