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Der designierte Bundespräsident Joachim Gauck.

© dpa

Kontrapunkt: Orientierung muss von den Bürgern kommen

In den Lobeshymnen zu Joachim Gauck bricht sich die deutsche Sehnsucht nach einem bürgerlichen Monarchen Bahn. Dabei bleibt zu hoffen, dass er dem Land in den nächsten fünf Jahren möglichst wenig Orientierung geben wird.

Eine beeindruckende Vita, ein Freiheitsheld, ein begeisternder Redner, einer, der Orientierung bietet: Darf man noch gegen Joachim Gauck sein oder ist das schon Vaterlandslosigkeit? In diesen Tagen bricht sich wieder etwas Bahn in Deutschland, wogegen es Argumente schwer haben: die anscheinend ungestillte – deutsche? - Sucht-Sehnsucht nach einem bürgerlichen Monarchen, der die Richtung weist.

Welche Richtung, das ist dann gar nicht mehr so wichtig: Die Spitzenleute der Grünen strahlen zur Nominierung eines Mannes, der als Freiheitsheld firmiert und die „Ermächtigung“ der Bürger fordert, den Protest der Occupy-Bewegung aber „unsäglich albern“ findet und die Stuttgarter Bahnhofsdemonstranten als Vorgartenverteidiger verhöhnt.

Die SPD, die damit scheiterte, einen erwiesenen Rassisten rauszuwerfen, stellt sich konsequenterweise erneut hinter Gauck, der diesen Rassismus „mutig“ nennt. Und alle Gauck-Nominierer zusammen verlieren kein Wort dazu, dass nach mehr als sechzig Jahren, in denen ausnahmslos Männer die Hausherren in der Bonner Villa Hammerschmidt und im Schloss Bellevue waren, schon wieder keine Hausherrin einzieht.

Dass das kein Zufall ist, hat Dirk Niebel für die FDP in schöner Unbekümmertheit verraten: Gauck sei eben „einfach der beste Mann“. Bingo! Das richtige Geschlecht zu haben, ist also auch im Jahr 2012 noch immer die Mindestbedingung fürs höchste Amt. Und das scheint nicht nur biologisch, sondern auch weltanschaulich zu gelten: Der beste aller möglichen Bundespräsidenten weiß in Interviews nur von „Vätern des Grundgesetzes“ und hat noch immer kein öffentliches Wort darüber verloren, wie er sich die wirtschaftliche Absicherung seiner Lebensgefährtin vorstellt, die ganz selbstverständlich für ihn ihren Beruf als Journalistin aufgeben soll. Zu alledem – Vorsicht Feminismus! - großes Schweigen.

Der einzige, der den Mund über Gaucks „persönliche Verhältnisse“ nicht halten mag, ist der rechtskonservative CSU-Mann Geis. Doch der meint mit „Ordnung“ natürlich nicht Genderfragen, sondern will sein Land von einem ordentlichen Ehemann repräsentiert sehen. Deutschland war schon einmal weiter als in diesen Tagen des Gauck-Hypes. 

So lässt sich nur hoffen, dass der gelernte Pastor Gauck dem Land in den nächsten fünf Jahren möglichst wenig Orientierung geben wird. Das sollten besser die in die Hand nehmen, an die sich seine Appelle seit Jahren immer wieder richten: Die Bürger, we, the people. Es ist kein gutes Zeichen, wenn sie Sinngebung so willig an einen Philosophenkönig im Bellevue delegieren und sich „Werte“ für ihre Kinder von konfessionellen Schulen und den Kirchen erhoffen – auch Altbischof Huber saß ja kurzzeitig auf dem Kandidatenkarussell.

Aus dem Fundus der demokratischen und Bürgertugenden kann sich schließlich jede und jeder auch ohne Hilfe von Sinnstiftungsprofis bedienen. Eine Republik jedenfalls, die einen Einheitskandidaten fürs Präsidentenamt als demokratisch vorbildlich feiert, in der große Koalitionen von der Notlösung zur normalen Option werden – so kürzlich in Berlin, demnächst wohl im Saarland und dann im Bund, für den die SPD der Kanzlerin einen Katzenpfotenwahlkampf versprochen hat – die braucht keinen Bürgerkönig. Der fehlt es einfach an Republikanern.

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