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Kontrapunkt: Politiker sind besser als ihr Ruf – viel besser

Die Mehrheit der Piraten-Wähler ist von den etablierten Parteien enttäuscht. Doch ihre Annahmen sind falsch: Die wenigsten Politiker sind abgehoben - und der Kompromiss ist der Normalfall in der Demokratie.

Von Anna Sauerbrey

Ginge es nach dem Willen der Deutschen, würde das Land von Feuerwehrleuten und Ärzten regiert. Jedes Jahr fragt die Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg die Bürger nach den Berufsgruppen, in die sie das größte Vertrauen haben. Stets liegen Feuerwehrleute und Ärzte vorn. Das Ansehen von Politikern hingegen wird immer schlechter. Nur neun Prozent der Deutschen vertrauen ihnen. Selbst Banker haben bessere Werte.

Es ist deshalb Zeit, einmal eine Lanze für den Berufspolitiker zu brechen. Und zwar nicht nur, weil wir Journalisten ungerechterweise ebenfalls in den Keller des „Vertrauensindex“ verbannt werden. Sondern weil die nölige Ablehnung der Politik im Allgemeinen und des Politikers im Besonderen zur Zeit bizarre Formen annimmt. Die vielen, die dem Politiker an sich misstrauen, geben ihr Unbehagen nicht mehr nur einem Marktforscher zu Protokoll. Der politikerverdrossene Deutsche von heute wählt Piratenpartei.

Sowohl bei den Wahlen in Berlin als auch im Saarland rekrutierte die Piratenpartei einen Großteil ihrer Stimmen aus dem Lager der Nichtwähler oder klaute sie den Linken, die bis zur Erfindung der Piraten als Sammelbecken für Frustrierte herhalten mussten. Das wird allgemein gedeutet als Ausdruck des Misstrauens gegenüber den etablierten Parteien und ihrem Personal. Eine Studie des Allensbach-Instituts von Dezember 2011 ergab, dass 43 Prozent der Deutschen sagten, sie seien von allen im Bundestag vertretenen Parteien enttäuscht; unter denen, die die Meinungsforscher als tatsächliche oder potenzielle Wähler der Piratenpartei identifizierten, waren es sogar 60 Prozent. Allensbach-Chefin Renate Köcher spricht von einem „diffusen Unbehagen“ gegenüber dem etablierten Politikbetrieb.

Anna Sauerbrey ist promovierte Historikerin und Mitarbeiterin der Meinungsredaktion des Tagesspiegels.
Anna Sauerbrey ist promovierte Historikerin und Mitarbeiterin der Meinungsredaktion des Tagesspiegels.

© Kai-Uwe Heinrich

Das wachsende Unbehagen beruht auf mehreren Vorurteilen: Ein häufig geäußerter Vorwurf ist, dass Politik immer gleichförmiger werde. Die Politiker seien kaum noch zu unterscheiden, die Parteien würden sich immer mehr angleichen. Kompromisse und Konsens haben hingegen einen schlechten Ruf, sie werden gleichgesetzt mit Mauschelei. Doch warum eigentlich? Der Kompromiss ist der Normalfall der parlamentarischen Demokratie. Es ist ja gerade die Aufgabe von Politik, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Partikularinteressen zu finden. Weit verbreitet ist auch die Vorstellung, Politiker würden die Bürger nicht verstehen, sie seien „abgehoben“ und würden sich nicht kümmern, sie verdienten zu viel, genössen zu viele Privilegien und seien irgendwie korrupt.

Schaut man aber auf die weniger bekannten Normalpolitiker, zeigt sich, dass deren Alltag wenig mit den glamourösen Schummelwelten eines Christian Wulff oder eines Karl-Theodor zu Guttenberg zu tun hat. In der typischen Sitzungswoche eines Bundestagsabgeordneten reihen sich Zehn- bis Zwölfstundentage aneinander: Auf Arbeitsfrühstücke und Ausschussanhörungen folgt das Gespräch mit Wirtschaftsvertretern, auf die Fraktionssitzung der Empfang einer Besuchergruppe und schließlich noch der parlamentarische Abend irgendeines Verbandes. Am Wochenende dann die lange Fahrt in den Wahlkreis, wo Vereinstreffen warten. Dafür bekommt ein Abgeordneter 7668 Euro monatlich.

Von dieser Arbeit bekommen die meisten Deutschen nur sehr indirekt etwas zu spüren, das mag ein Versäumnis der Politik sein. Doch auch die Wähler versäumen etwas, nämlich sich zu informieren. In einer Auswertung der Zustimmung für die Piratenpartei stellten die Allensbach-Forscher fest, dass mehr als die Hälfte keine Ahnung hätten, wofür die Piratenpartei eigentlich steht. Die meisten gaben rundheraus zu, dass sie auch keine Ahnung hätten, in welche Richtung sie sich entwickelt. Irgendwas mit Internetfreiheit. Renate Köcher bezeichnet diesen Umstand als „frivol“.

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