zum Hauptinhalt

Kontrapunkt: Post von Merkel – Wunder gibt es immer wieder

Die Kanzlerin hat ihre "Vier Versprechen" in Anzeigen unters Volk gebracht. Ob sie gelesen wurden, ist fraglich. Glaubhaft sind sie nicht. Über die Versprechungen zur "Bildungsrepublik" können sich Eltern nur wundern.

Es wurde allgemein als taktlos empfunden, dass die Bundeskanzlerin ihre „Vier Versprechen, doch zuerst ein Dank“-Anzeige unmittelbar nach dem CDU-Parteitag in allen großen Blättern veröffentlicht hat. Schließlich zahlt dafür der Steuerzahler. Tagelang konnte man keine Zeitung lesen, ohne der Bundeskanzlerin ins Auge zu sehen. Die allermeisten Leser haben ihre eigentliche Chance aber vermutlich vertan, nämlich zu erfahren, wie die Regierung über ihr Urteilsvermögen denkt. Der normale Umgang des Bürgers mit Hochglanz-Anzeigen der Politik ist längst das Weg-Lesen - wie die Kommunikationsprofis sehr gut wissen, die sie in die Welt setzen. Denn mit der Raffinesse der professionellen Polit-Kommunikation ist auch der natürliche Argwohn des Bürgers gewachsen. Der latente Verdacht, dass „die uns doch nur wieder was verkaufen“ wollen, hat mittlerweile die Qualität einer Abstoßungsreaktion: Weil man ohnehin nicht dran glauben wird, liest man erst gar nicht.

Wahlplakate werden deshalb immer wortärmer und Regierungs-Anzeigen vertrauen auf den Effekt des Augen-Blicks. Der unserer Kanzlerin verströmt Zuversicht, Erfolg und mit der schönen Formel „doch zuerst ein Dank“ ein wenig Demut vor dem Volk.

Doch wenn man als Steuerzahler schon zahlt, sollte man die Post von Merkel auch lesen. Schließlich macht sie nicht oft viele Worte, die sich unmittelbar an den Souverän richten. Man erfährt, woran Merkel nicht glaubt, nämlich an Wunder. „Die Welt schaut auf unser Land und spricht von einem Wunder. Ich glaube nicht an Wunder, aber ich glaube an die Menschen in diesem Land.“ Und man erfährt, was Merkels Regierungskommunikation von der Zynikerweisheit hält, die da lautet: „Das Volk, es will betrogen sein“.

Denn ans Wunderbare grenzt, was die Bundeskanzlerin meint, „die Menschen in diesem Land“ alles glauben machen zu können. Mein persönliches Lieblingsversprechen aus dem Reigen von Finanzen, Bildung, Energie, Gesundheit ist Merkels „Zweites Versprechen: Wir schaffen die Bildungsrepublik.“ Wer sich dafür interessiert oder auskennt, weil er Kinder in Kindergärten, Schulen oder Hochschulen hat, staunt.

„Wir wollen Kindern aus Familien mit niedrigem Einkommen helfen – etwa mit Nachhilfe, warmen Mittagessen und einem Zuschuss für Freizeitaktivitäten.“ Das ist das Programm der Arbeitsministerin, die auf der Grundlage von Berechnungen, die so löchrig sind wie ein Schweizer Käse, die Hartz-IV-Bedarfssätze für Kinder nicht erhöhen will und als Sachleistungen ankündigt, was die meisten dieser Kinder entweder schon haben oder auch künftig nicht erhalten werden. Nachhilfe gibt es schon, das „warme Essen“ wird in den allermeisten Fällen nur umfinanziert (von der Schule, der Kommune, der Stiftung auf den Bund) oder fällt wegen nicht vorhandener Ganztagsschule eben weg. Freizeitaktivitäten zu Mini- oder Nulltarif bieten viele Kommunen und Vereine überall in der Republik an. Doch wo die zusätzlichen Sportschuhe nicht bezahlt werden können, wirbt der Sportverein vergebens.

„Bildungslotsen helfen gefährdeten Jugendlichen bei Schulabschluss und Berufseinstieg.“ Eine Beschwörung, die bisher an den hohen Schulabbrecherquoten wenig geändert hat und wenig ändern wird, wenn es dabei bleiben sollte, dass Bildungslotsen in den Jobcentern angesiedelt werden. Sie müssen von Kita und Schule ausgehen, sonst kommen sie zu spät. Die Arbeitslosigkeit der unter 25jährigen liegt auch in Deutschland deutlich über der durchschnittlichen. (Erst recht in der EU, die ihr Ziel, sie bis 2010 auf 10 Prozent zu senken, wegen der Finanzkrise verfehlt hat. Sie ist fast überall doppelt so hoch, in Spanien bei 41 Prozent).

„Bund und Länder schaffen viele neue Studienplätze.“ Leider hat es die vereinigte Gedankenlosigkeit von Bund und Ländern erst einmal geschafft, viele Schulabsolventen zu schaffen, die auf Studienplätze warten müssen. Denn 2011 strömen aus einigen Bundesländern nicht nur zwei Abiturientenjahrgänge (13- und 12-Klassen-Abi) auf die Hochschulen. Sondern de facto drei, denn es wird auch noch die Wehrpflicht ausgesetzt.

Merkels Bildungsrepublik baut offenbar nicht auf die Macht der Politik, sondern auf die der Demografie, in wenigen Jahren alles regelt. Lehrlinge und Fachkräfte werden dann so knapp sein, dass die Wirtschaft ganz laut nach gut ausgebildeten Fertigimporten rufen wird. Jedes Kind ist nur einmal sechs Jahre, jedes Mädchen, jeder Junge nur einmal 16 oder 18 Jahre alt und verlässt die Schule auf der Suche nach einer guten Ausbildung oder einem Studienplatz. Was sollen sie oder ihre Eltern denken, wenn sie Merkels zweites Versprechen lesen? Vermutlich sind die meisten Realisten, winken ab und fragen allenfalls, welcher Werbefuzzi Merkel diese Leersätze bloß aufgeschrieben hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false