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Kontrapunkt: Regierungsauftrag: Entwertung des Bundestages

Wer kontrolliert die Bundesregierung, fragt Harald Schumann in seinem heutigen "Kontrapunkt". Die Abgeordneten des Bundestages selbstverständlich, so sieht es das Grundgesetz vor. Oder vielleicht doch nicht?

Wer glaubt, dass die meisten Parlamentarier diese zentrale Aufgabe nicht wirklich ernst nehmen, der erhielt dieser Tage eine erneute Bestätigung. Da passierte ein Gesetz den Bundestag, mit dem einmal mehr die parlamentarische Kontrolle für höchst umstrittene und zudem sehr teure Maßnahmen der Regierung zur bloßen Lachnummer verkommt. Im Eilverfahren peitschte da die Regierungskoalition das sogenannte "Restrukturierungsgesetz" durch. Es regelt das Verfahren, wie die Regierung und ihre Behörden bei den nächsten Finanzkrisen mit insolventen Banken umgehen sollen, die man wegen ihrer Größe und Vernetzung mit anderen Geldhäusern nicht einfach in Konkurs gehen lassen kann. Die Aufsichtsbehörden können damit früher eingreifen als bisher und können notfalls auch gegen den Willen des Managements eine Aufspaltung oder Abwicklung der Bank erzwingen. Ob das Verfahren im Krisenfall tatsächlich eine Wiederholung der chaotischen und für die Steuerzahler äußerst kostspieligen Bankenrettung wie im Herbst 2008 verhindern würde, ist alles andere als klar. Träfe es einen weltweit verflochtenen Finanzriesen wie die Deutsche Bank mit ihren mehr als 1000 Tochtergesellschaften wären die staatlichen Retter der Finanzstabilität mit Sicherheit genauso überfordert wie beim letzten Mal, schon allein deshalb, weil sich die vielen ausländischen Gläubiger gewiss nicht den deutschen Gesetzen und Behörden unterwerfen lassen. Aber immerhin soll es künftig einen staatlich verwalteten Fonds für den Notfall geben, der über Abgabezahlungen von den Banken selbst mit 70 Milliarden Euro gefüllt werden soll.

Allein, die Abgabe ist so niedrig eingesetzt, dass es bis zu 70 Jahre dauern wird, bis die Summe tatsächlich einbezahlt ist. Weil die nächste Bankenpleite aber schon morgen geschehen kann, erteilt das Gesetz darum der Regierung und ihrer "Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung" die Vollmacht, auch künftig mal eben bis zu 20 Milliarden Euro Kredit für Kapitalhilfen an Banken aufzunehmen und zudem für bis zu 100 Milliarden Euro ausstehender Verpflichtungen der Krisenbanken mit Bürgschaften zu garantieren. De facto wird so das das seinerzeit im Hauruckverfahren etablierte Prinzip der Bankenrettung kurzerhand verewigt, wenn auch in leicht abgewandelter Form.

Mag schon dieses Konzept fragwürdig sein, so kommt der Umgang der Abgeordneten der Regierungskoalition mit dem Verfahren einer Verhöhnung der Demokratie gleich. Denn sie setzten durch, dass der Bundestag genau wie bisher keine Möglichkeit haben wird, über die Milliardenzahlungen zum Freikauf der Gläubiger überschuldeter Banken und zu Lasten der Steuerzahler selbst zu entscheiden. Auch künftig müssen der Finanzminister oder seine Staatssekretäre und die Leiter der Bankenrettungsanstalt lediglich ein machtloses Gremium aus neun Abgeordneten des Haushaltausschusses über ihre Aktionen unterrichten. Da dürfen die Volksvertreter zwar Fragen stellen, aber zu entscheiden haben sie nichts. Schlimmer noch: Selbst wenn sie Einwände haben oder gar von der unzulässigen Begünstigung einzelner Finanzinstitute oder deren Gläubiger erfahren, dürfen sie das Parlament und ihre Wähler nicht darüber informieren. Das Gremium tagt geheim und alle Vorgänge unterliegen der Geheimhaltung, deren Verletzung mit bis fünf Jahren Haft bestraft werden kann. Auch künftig wird es damit möglich sein, dass die Regierung wie seinerzeit im Fall der Commerzbank ohne jede parlamentarische Kontrolle 18 Milliarden Euro in eine Bank investiert, die an der Börse nicht mal mehr ein Drittel dieser Summe wert ist, während die Verursacher der Schieflage keine Cent zur Sanierung beitragen müssen.

Solche Aktionen hielten damals selbst viele Abgeordnete der FDP und der Unionsparteien für unhaltbar. Ausdrücklich versprachen sie deshalb im schwarz-gelben Koalitionsvertrag, man werde "die parlamentarische Kontrolle" bei der staatlichen Bankensanierung "weiterentwickeln". Doch im Gesetzentwurf der Regierung fand sich dazu kein Wort. Und auch als das Gesetz im Finanzausschuss zur Abstimmung anstand, fügten die Koalitionäre lediglich ein, dass sie künftig im Geheimen auch die verantwortlichen Bankmanager befragen dürfen, aber auch das natürlich ohne praktische Folgen. Als einziger Abgeordneter im ganzen Bundestag unternahm nur der Grünen-Abgeordnete Gerhard Schick den Versuch, dem Kontrollgremium wenigstens ein paar Zähne zu verschaffen. Doch nicht einmal seinem Antrag, den Pseudo-Kontrolleuren zumindest das Recht auf Akteneinsicht sowie die Einholung unabhängiger Gutachten zu erlauben, mochten die Regierungsabgeordneten zustimmen.

Mit dieser Selbstentmachtung treiben sie aber genau die Entwertung des Parlaments voran, wie sie Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schon mehrfach beklagte. Und das ja nicht nur in diesem Fall. Auch bei Aufsetzung des Rettungsfonds für die Krisenländer der Eurozone erteilte der Bundestag der Regierung eine Blankovollmacht. Wenn Deutschlands Steuerzahler demnächst mit bis zu 40 Milliarden Euro für die Schulden der irischen Pleitebanken haften, dann haben die gewählten Vertreter eben dieser Steuerzahler auch dazu nichts mehr zu sagen. Sie werden lediglich unterrichtet. Ob die Rettung der irischen Staatsfinanzen etwa an die Bedingung geknüpft werden soll, dass auch die Bankengläubiger einen Beitrag leisten, wie es selbst der Internationale Währungsfonds fordert, wird im Bundestag nicht einmal debattiert. Auch die fortwährende Alimentierung der Finanzbranche mit kostenlosen Krediten der Zentralbank ist ein gigantisches Subventionsprogramm, über das weder der Bundestag noch irgendein anderes Parlament jemals entschieden hat.

Stück für Stück begibt sich der Bundestag so seines wichtigsten Rechts, der Kontrolle über die Ausgaben Staates durch gewählte Vertreter. Wer solcherart eines der zentralen Prinzipien der Demokratie ständig mit Füssen tritt, der darf sich über die zunehmende Abkehr der Bürger von den Parlamenten und ihren Abgeordneten nicht beklagen.

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