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Stefan Mappus gab zu Stuttgart 21 eine Regierungserklärung im Stuttgarter Landtag ab. Er ging auf die Gegner ein, lehnt einen Baustopp aber ab. Nun soll Heiner Geißler schlichten.

© dpa

Kontrapunkt: Stefan Mappus: Verkaufen statt kämpfen

Kontrapunkt, die neue tägliche Online-Kolumne: Tissy Bruns über Baden-Württembergs Ministerpräsidenten und die verheerenden Folgen des Thatcher-Spruchs "there is no alternative": der unpolitische Politiker.

Irgendwie konnte er einem ja Leid tun, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Denn Stefan Mappus muss eine Suppe auslöffeln, die seine Vorgänger ihm eingebrockt haben. Doch seit die Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 sich zugespitzt haben, lernen wir den neuen Landesvater via „Tagesschau" und „heute“ etwas näher kennen – und jedes Mitgefühl schwindet. Mappus flößt gerade der Zuschauerin, die zu diesem Bahnhofsprojekt keine feste Meinung hat, ein beinah unheimliches Gefühl ein. Jedenfalls wenn man, wie die Verfasserin dieser Zeilen, schon etwas älter und zudem eine Spätbekehrte ist, was die Vorzüge der repräsentativen Demokratie angeht. Spätbekehrte sind bekanntlich oft 150-prozentige Verfechter der Sache, die sie früher gering geschätzt haben. Stefan Mappus hat also mein offenes Ohr, wenn er die Legitimität des Bahnhofbaus aus Entscheidungen ableitet, die von gewählten Parlamenten oder Landesregierungen getroffen worden sind.

Ein unheimliches Gefühl aber löst er aus, weil er sich auf diese Legitimität beruft, als sei sie ein Besitzstand, der überflüssig macht, was zur repräsentativen Demokratie gehört wie ein gewähltes Parlament, ja, wie die Luft zum Atmen. Nämlich das Lebenselixier „Öffentlichkeit“, die ständige Arena von Politik und Bürgern, in der auf Versammlungen und Parteitagen, über Zeitungen und Konferenzen, mittels Demonstrationen oder Bürgerinitiative um diese Entscheidungen debattiert und gestritten wird. Mappus hat spät entdeckt, woran es hapert: Die „Kommunikation war deutlich optimierungsfähig.“

So spricht einer, für den es nicht mehr zum Handwerk gehört, für seine Überzeugungen zu kämpfen, sondern Politik zu „verkaufen“. Fast zwei Jahrzehnte haben Politiker sich daran gewöhnt, Politik mit Hilfe professioneller Kommunikation vor allem medial auszurichten. Doch sind Politiker wie Helmut Kohl oder Gerhard Schröder immerhin noch im direkten Kampf um die Meinungen und Überzeugungen ausgewachsen, mindestens hatten sie die eigene Partei als Übungsfeld dafür, wie man Menschen aus Fleisch und Blut von etwas überzeugt, wovon man selbst überzeugt ist. Heute sehen wir  Politiker eines neuen Typs in die ersten Reihen rücken. An vorderster Stelle Angela Merkel, die vieles kann, aber nicht viel Wert darauf legt, von ihren Überzeugungen zu überzeugen.  

Das ist die Ernte eines politischen Zeitalters, das in eine sichtbare Katastrophe geführt hat, nämlich die Finanzkrise. Und in eine unsichtbare, nämlich in eine Entpolitisierung der Politiker, die darin besteht, dass Politiker dem Kampf um Überzeugung für eine Sache halten, die man am besten an einen Agentur für Kommunikation delegiert.

Sie sind Erben von Maggie Thatcher. Von ihr stammt der fatale Satz „there ist no alternative“, kurz TINA. Fatal trifft im Wortsinn, schicksalsergeben ist eine Politik, die sich Demokratie ohne Alternativen vorstellen will. Im Zeitalter der grenzenlosen Marktfreiheit wurde TINA zur grundsätzlichen Schutzbehauptung einer Politik, die sich pragmatisch gab, tatsächlich aber hochideologisch war. Denn nicht anderes als ein Glaubenssatz war ja die Annahme, dass die Märkte sich selbst regulieren. TINA hat die Politiker entpflichtet, ihre Politik vor denen zu begründen, die ihnen ihre Macht verleihen, den Bürgern. Die Staatsgewalt, die vom Volk ausgeht, ist aber die Essenz der repräsentativen Demokratie, sagt Artikel 20 des Grundgesetzes. Politiker sind unpolitisch, die das nicht wissen.

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