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Karl-Theodor zu Guttenberg wird Berater für Internetfreiheit.

© Reuters

Kontrapunkt: Von Guttenberg zur NPD

Das deutsche Gelübde heißt: Nie wieder! Deshalb sind die Reaktionen auf den Blender-Baron ähnlich wie die auf Neo-Nazis, meint Malte Lehming. In beiden Fällen sind Demokraten auf historischer Mission.

Europa und die Welt, im Dezember 2011: Die UN-Klimakonferenz kann nur knapp vor dem Scheitern bewahrt werden, die britische Regierung ringt wegen der Isolierung auf dem EU-Gipfel ums Überleben, in vielen arabischen Ländern übernehmen islamistische Parteien die Macht, in Russland rumort es, in Afghanistan sterben mindestens 80 Menschen bei Bombenanschlägen. Deutschland, im Dezember 2011: Karl-Theodor zu Guttenberg hat seinen ersten Auftritt auf einer öffentlichen politischen Veranstaltung in Europa seit seinem Rückzug vor neuen Monaten, Innenminister und Juristen streiten weiter heftig über ein neues NPD-Verbotsverfahren.

Das spiegelt, nur wenig überspitzt, den Erregungspegel der Nachrichtenlage wider. Natürlich interessieren sich die Deutschen auch für die große, weite Welt. Aber die Themen Guttenberg und NPD bringen etwas Zusätzliches in ihnen zum Vibrieren, ein seltsames Amalgam aus Abscheu und Faszination verursacht angespannte Nervosität. Das hat mit ihrer Vergangenheit zu tun. Sie reagieren getreu der Regel: Je länger Adolf Hitler tot ist, desto heftiger wird er bekämpft.

Im Fall Guttenberg muss man den antifaschistischen Reflex erklären. Auf kaum eine andere Person reagieren die Kommentatoren derzeit allergischer. Dabei durchzieht die Kritik ein besonderes, deutsch-historisches Narrativ. Es geht so: Da ist auf der einen Seite ein gefährlicher, charismatischer Verführer, ein Blender, ein Vereinfacher, ein Demagoge. Und da ist auf der anderen Seite ein labiles, verunsichertes Volk, das sich nach einem starken Mann sehnt, nach Tatkraft, klaren Worten, Elite-Schelte und Tabubrüchen. Hatten wir das nicht schon einmal? Folglich: In dem „Baron“ könnten die Abgehängten dieser Gesellschaft, die Enttäuschten, Traditionskonservativen, Wirtschaftsliberalen und Euro-Gegner ihren neuen „Führer“ finden.

Nie wieder! Das ist das deutsche Gelübde. Nie wieder dürfen Demokraten es zulassen, dass das Volk von einem sich perfekt inszenierenden Außenseiter verführt wird, der mit seiner Popularität die politische Klasse an der Nase herumführt und die Politik usurpiert. Insofern ist es kein Zufall, dass Guttenberg ähnlich vehemente Abneigung von Seiten des politischen „Establishments“ entgegenschlägt wie seinerzeit Thilo Sarrazin. In beiden Fällen geht es um mehr als die Auseinandersetzung mit einer Person, ihren Thesen und Charakterschwächen. Es geht um mehr als ein Buch. Vielmehr zielt der Kampf auf das geschichtliche Ur-Böse, das zu verhindern ein Teil der deutschen Identität geworden ist.

Warum die Angst vor Guttenberg irrational ist

Beim NPD-Thema ist das ebenso. Hieß es nach den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 noch besorgt, nun dürfe man nicht überreagieren und die Freiheit der Sicherheit opfern, so wurde nach den rechtsterroristischen Morden der Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ als eine der ersten Reaktionen der Ruf nach einem NPD-Verbot laut. Bezeichnenderweise geht es in der Diskussion darüber fast ausschließlich um die Praktikabilität dessen. Erfolgsaussichten? V-Männer abziehen oder nicht? Gefahr der Untergrundtätigkeit.

Nun genießen Parteien in Deutschland aus gutem Grund einen besonderen Schutz. Ihre Aufnahme in die Verfassung verdanken sie nämlich der bitteren Erfahrung – ausgerechnet mit einem Parteienverbot. Am 14. Juli 1933, wenige Monate nach der Machtergreifung, verboten die Nationalsozialisten alle anderen Parteien (insgesamt 29) und vollendeten dadurch die totale Gleichschaltung des politischen Lebens. Daraus zogen die Verfassungsväter der Bundesrepublik die Lehre, dass die Gründung von Parteien künftig ein Freiheitsrecht sein muss, das eine streitbare Demokratie nur in Ausnahmefällen außer Kraft setzen darf.

Sollen wir dieses Freiheitsrecht nun unserer Sicherheit und dem gesellschaftlichen Frieden im Land opfern? Diese Frage wird im Zusammenhang mit dem NPD-Verbot – für das es durchaus gute Gründe gibt – kaum jemals gestellt. Der Unterschied zur Nach-Nine-Eleven-Debatte ist eklatant. Al Qaida mag gefährlich sein, ist aber keine deutsche Nazi-Gruppe. Deshalb neigt sich das Pendel bei der Abwägung „Freiheit-Sicherheit“ bei Al Qaida in Richtung Freiheit, bei der NSU in Richtung Sicherheit. Das Nie-wieder-Gelübde wiegt hierzulande schwerer als das allgemeine Terrorpräventionsgebot.

Ganz rational ist weder die Angst vor Guttenberg noch die Verbotsneigung gegenüber der NPD. Aber da die deutsche Vergangenheit nun mal eine ist, die nicht vergeht, muss man den Deutschen das Recht auf ein wenig Irrationalität wohl manchmal zubilligen.

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