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Stadtschloss, Irakkrieg, Wulff: Falsch bleibt falsch und wird nie richtig. Aber das Sich-Abfinden sollte man lernen, meint Malte Lehmig.

© eldaco

Kontrapunkt: Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Was haben das Berliner Stadtschloss, der Irakkrieg und Christian Wulff miteinander gemeinsam? Jedenfalls mehr, als man so denkt. Vor allem aber die Rechthaberei derer, die sich mit diesen Themen befassen.

Hey, was ist es doch für eine Gaudi, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Da lässt es sich so herrlich ablästern über die Gegenseite. Ihre Fehler, ihr Versagen, ihre Unkenntnis, ihre Dummheit. Die anderen können sich noch so abstrampeln, das nützt ihnen nichts. Weil sie am Anfang falsch lagen – man kann auch sagen: den Ur-Irrtum begangen hatten -, potenziert nun alles, was darauf aufbaut, diesen Irrtum. Falsches gebiert nur Falsches. Wer das postuliert, will vor allem, dass es stimmt. Darum sucht er nach Beweisen für die These, er ist ins Misslingen des Ur-Falschen verliebt.

Aber was, wenn falsch richtig wird? Wenn die Zeitläufte die Ur-Falschheit verblassen lassen, das Blatt sich wendet, das Projekt Gestalt annimmt? Dann wirkt die Rechthabergeste plötzlich gestrig. Irgendwie bockig und trotzig. Dieses „Hab’ ich immer schon gesagt“ ist als Haltung eben wenig nach vorne gerichtet, sondern erschöpft sich in der Retrospektive. Es kann Punkte geben, da verliebt sich der wache Beobachter lieber in das Gelingen eines Projektes.

Beispiel Berliner Stadtschloss (pc ausgedrückt: Humboldtforum): Das wollten am Anfang viele nicht. Zu teuer, zu bombastisch, zu großmannssüchtig. Schlösser bauen in Zeiten der Krise, der Massenarbeitslosigkeit in Europa, der Armut und Ungleichheit: Das geht gar nicht. Doch die Debatte ist vorbei, die Schlacht geschlagen. Nun wird gebaut. Im Juni wird der Grundstein gelegt, in knapp zwei Jahren soll der Rohbau fertig sein. Die Meldung, dass ein anonymer Großspender nun auch die Finanzierung der historischen Kuppel garantiert, beschleunigt die Dynamik. Wer jetzt noch am Projekt selbst herumnörgelt, verkennt diese neue Dynamik. Die Diskussion über Dinge, die sich nicht mehr ändern lassen, sollte nach vorne gerichtet sein.

Beispiel Irakkrieg (hatte gerade zehnjähriges Jubiläum): Verständlich, das auch hier gerne weiter die Ursprungsfrage bilanziert wird – richtig oder falsch? Gerhard Schröder will sich noch einmal Lob für seine Standfestigkeit abholen, die Bush-Regierung soll noch einmal gehörig auf die Mütze bekommen. Alle Jahre wieder. Doch zwischen 2003 und 2013 liegt ein bedeutendes Ereignis – die Arabellion. Das Modell stabiler Diktator – Saddam Hussein, Hosni Mubarak – hat offenkundig ausgedient. Verglichen werden müssen folglich die instabilen Demokratien, die Afghanistan und Irak von den Amerikanern aufgedrückt wurden, mit den instabilen Demokratien, die in Ägypten, Tunesien, Libyen (und später womöglich in Syrien) entstehen. Wo wird es in fünf Jahren gesitteter zugehen? Der Irak ist ein ethnisch und religiös zersplittertes Land (Schiiten, Sunniten, Kurden, Christen). Das ist Syrien auch. Welches der beiden Länder wird einst als Vorbild in der Region gelten? Die Antwort auf diese Frage ist noch offen. Sie wird den Irakkrieg zum Jubiläum 2023 vielleicht in ganz neuem Licht sehen lassen.

Beispiel Christian Wulff: Opfer der Medien, Opfer seiner selbst, gar kein Opfer, sondern Täter, ungeeignet fürs höchste Staatsamt – auch diese rückwärtsgewandten Erörterungen langweilen inzwischen bis zur Ermüdung. Als Tatsache bleibt, dass ihm die Staatsanwaltschaft trotz langer, aufwändiger Recherchen nichts wirklich Verwerfliches anhängen kann und dass der ehemalige Bundespräsident auf lange Jahre ein vom Steuerzahler finanziertes Salär erhält. Nach vorne geblickt sollte daher eruiert werden, wie Wulff dem Gemeinwesen wieder nützlich sein kann. In welchem Rahmen, in welcher Funktion? Vielleicht auf internationaler Ebene oder im deutsch-türkischen Dialog oder allgemein in der Integrationsarbeit. Alles andere ist nicht geschippter Schnee von gestern.

Noch einmal: Wer mag, möge weiter in den Rückspiegel schauen und unverdrossen vor sich hin murmeln: Falsch bleibt falsch und wird nie richtig. Wer aber das Sich-Abfinden gelernt hat, das Sich-Fügen in die Faktizitäten der Gegenwart, der wird sich den Gestaltungswillen durch solche Rückschauen nicht nehmen lassen. Vorwärts immer, rückwärts nimmer, sagte Erich Honecker. Und warum sollte nicht sogar der mal was Richtiges gesagt haben?

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