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Auf Nummer sicher: Eine Koalition mit den Piraten würde für eine stabile linke Mehrheit in Berlin sorgen.

© dpa/Davids

Kontrapunkt: Wowereit sollte die Piraten einbinden

Für Rot-Grün wird es eng. Doch es gibt in Berlin eine deutliche Mehrheit links der Mitte, schreibt Stephan-Andreas Casdorff in seinem Kontrapunkt. Wenn Klaus Wowereit stabil regieren will, dann sollte er den Piraten gezielt Verantwortung übertragen.

Da sitzen sie nun, die Piraten, und kommen so schnell nicht mehr weg. Angekommen auf den harten Stühlen der parlamentarischen Wirklichkeit, müssen sie zeigen, dass das Leben kein einziger Blog ist und mehr als eine Videobotschaft. Allein schon die physische Präsenz in Fraktionssitzungen, Ausschusssitzungen, Plenarsitzungen kann zur Mühsal werden. Entscheidungen zu fällen auch, denn das Tun zeigt das Wollen. 

Und es beginnt ja schon, das Alltägliche. Sollen alle alles wissen können, was das Gebot der Transparenz wäre, eines wirklich "gläsernen Parlaments", wie es die Piraten beim Einzug formulierten? Soll alles nach außen übertragen werden, was sich drinnen, in Sitzungen, zuträgt? Wenn ja, wie? Mit Web Cam, per Live Stream? Oder soll einer es berichten, bloggen, und wer soll das sein? Einer, der gewählt wird? Oder sollen alle bloggen, die es wollen? Wer redet dann noch mit wem? Sollen alle, die den Blog kommentieren, mitreden dürfen, direkt? Muss es einen Filter geben? Wer entwickelt ihn, inhaltlich? Denn technisch ist das für diese Fraktion kein Problem. Fragen über Fragen. 

Sie werden Antworten finden, das ist wohl keine Frage. Aber vielleicht werden sie nicht allen, die sie gewählt haben, gefallen, und das wäre dann als Erstes der wahren Wirklichkeit geschuldet. Und es wird noch mehr an, sagen wir, Zumutungen geben: die Notwendigkeit, Kompromisse zu schließen, zum Beispiel. Immerhin erhöht sich nur so die Chance, ein bisschen, acht Prozent, von dem durchzusetzen, was sie sich wünschen. Wunsch und Wirklichkeit können sich hart aneinander stoßen, das wissen die anderen Parteien schon länger. 

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welchen Herausforderungen sich die Piraten außerdem stellen müssen.

Sie müssen außerdem noch mehr Antworten finden auf immer mehr Fragen, die sich ihnen zwangsläufig im parlamentarischen Prozess stellen. Das Programm der Partei ist im Entstehen, es geht nicht sehr ins Detail. So hilft es allein bei der groben Orientierung. Politiker alten Schlages sagen gerne, dieses und jenes Thema stehe für sie im Zentrum; oft sind es dann sehr viele. Daran ist so viel falsch – aber richtig bleibt, dass es zentrale Themen gibt, die auch von den Piraten ernst genommen werden müssen, wenn sie eine ernst zu nehmende Kraft der Veränderung in Berlin sein wollen. Jede Veränderung allerdings steht unter dem Vorbehalt, dass nicht nur definiert werden muss, was sich diese Stadt leisten soll, sondern was sie sich leisten kann. Die Anforderung an Politik ist hier konkret, und die Umsetzung kann sehr kleinteilig sein. Das ist wie im wirklichen Leben. 

Nun werden die Piraten sagen, das wüssten sie, und Virtualität sei nicht Weltentrücktheit, eher das Gegenteil. Wenn das stimmt, dann sind die anderen, die so genannten etablierten Parteien aufgerufen, es diesmal anders zu machen, ganz anders als damals beim ersten Einzug der Grünen 1979 in ein Landesparlament. Und mit den frühen Grünen werden die Piraten verglichen. Sie sollten sie nicht ausgrenzen, nicht isolieren, nicht stigmatisieren. Denn das würde ohnehin nicht gelingen, nicht bei der nachwachsenden digitalen Generation, den "Digital Natives". Das Internet ist doch die zweite große Revolution der Globalisierung, nach dem Flugzeug, und so wie dies wird das Internet nicht mehr vergehen. 

Warum also nicht die Piraten stellen? Sie direkt in die Verantwortung zu nehmen, in die sie vom Wähler gestellt sind – das wäre eine zutiefst demokratische Herausforderung für beide Seiten. Es hieße, dass alle der Wirklichkeit verhaftet wären. Wer auch immer koalieren will oder wird, sollte die Piraten einbinden, sollte sich nicht selbst zur Beute machen, ihnen nicht jede Prise einfach überantworten. Zuschauer des Geschehens gibt es genug. 

Klaus Wowereit will stabil regieren. Das hängt nicht nur, aber auch an der Zahl der Mandate, über die eine Regierung verfügen kann. Es gibt in dieser Stadt eine Mehrheit links der Mitte, eine deutliche. Und es gibt sowohl das Gefühl als auch dessen Ausdruck in Zahlen, dass sich in Stil und Form und Inhalt etwas verändern muss. Wenn die Piraten nun dieser Ausdruck sind, dann hat Wowereit seine Herausforderung gefunden: Diese Berliner auch noch zu verstehen und dann aus ihnen herauszuholen, was sie bieten können. Dafür könnte eine Koalition – die schließlich ein Bündnis mit dem Ziel des Wohls der ganzen Stadt sein muss – ihnen gezielt Verantwortung übertragen. Damit würden die Piraten gefordert. Wenn sie dann nichts zu bieten hätten, dann würde das auch klar. Sehr schnell. Denn ihr Tun zeigt ihr Wollen. Allen, nicht zuletzt im Internet.

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