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Am 16. Januar wäre der frühere Bundespräsident Johannes Rau 80 Jahre alt geworden. Dieses von Ann Weers Lacey erschaffene Denkmal steht vor der früheren Staatskanzlei in Düsseldorf.

© dpa

Kontrapunkt: Zynismus ist aller Spaltung Anfang

Johannes Rau wäre am 16. Januar 80 Jahre alt geworden. Stephan-Andreas Casdorff erinnert im Kontrapunkt an einen Politiker, der versöhnte, statt zu spalten, dessen Lebensmotiv kein Wahlkampfmotto war - und der bis heute keinen Nachfolger hat.

Jetzt feiern sie Johannes Rau. Er war ein sozialer Demokrat. Am 16. Januar wäre er 80 geworden, in Berlin ehrte ihn nun eine Festveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Warum eigentlich nur eine der SPD-nahen Stiftung? Hat sich niemand darum bemüht, die anderen Parteien auch zu einer Würdigung zu gewinnen? Denn wenn einer als Bundespräsident überparteilich war, dann Rau, der in diesem Amt bis heute Unterschätzte.

Nicht bei allen ist das so, aber bei Rau lohnt es sich, seine Reden aus der Zeit als Präsident nachzulesen. Die zur Integration, zum Wesen des Politischen, zur Biotechnologie und ihrer Zukunft. Zum Patriotismus auch: Immer Patriot, nie Nationalist, so lautete ein Begriff, auf den seine Präsidentschaft zu bringen war, ja, den er selbst prägte. Damit ist auch eine seiner Stärken beschrieben: Er konnte sich und anderes verständlich machen. Wiewohl kein Philosoph von Ausbildung oder Beruf, lebte er den Satz 'Sage ungewöhnliche Dinge mit gewöhnlichen Worten'; der stammt, etwas gerafft, von Schopenhauer.

Warum gerade heute an ihn erinnern? Weil die Zeiten so sind, dass er einem wieder einfällt, und dass man sich einen wie ihn wünschte. Als Kontrapunkt! Versöhnen statt spalten, sein Lebensmotiv und nicht nur ein Wahlkampfmotto, hat in einer Gesellschaft umso mehr Sinn, wenn sie von Spaltungen bedroht ist. Vorgebliche Reformen nämlich sind geeignet, den Zynismus, mit dem Politiker und Politik betrachtet werden, Vorschub zu leisten. Zynismus aber treibt die Spaltung voran zwischen denen, die das Land regieren sollen und denen, die regiert werden, aber als Souverän ihre Stimme für eine bestimmte Zeit ausleihen. Ein gefährlicher Zustand ist das, eine gefährliche Entwicklung dazu, und viel zu wenig wahrgenommen. Andernfalls würde viel mehr dagegen getan, über die Parteigrenzen hinweg, wo doch immerhin die gesamte so genannte politische Klasse betroffen ist und auf Dauer getroffen wird.

Der Bundespräsident als oberster politisch-gesellschaftlicher Seismograph ist hier gefordert. Denn je tiefer die Spaltungen werden, desto mehr Abspaltungen kann es geben, am linken wie am rechten Rand. Das bundesrepublikanische politische System ist davon in fast unwahrscheinlicher Weise lange verschont geblieben, aber so wie es keine Gewähr auf Glück im Privaten gibt, gibt es auch keine im Politischen. Noch sind es auf der rechten Seite des Spektrums eher Haarrisse, die zu besichtigen sind, aber das muss nicht so bleiben.

Darum auch hat ein erfahrener Politiker wie der Christdemokrat Wolfgang Schäuble recht, wenn er offenkundigem politischen Unfug nicht den Weg ebnen wollte. Einer muss es ja tun, muss widerstehen, gegen den Strom schwimmen. Früher tat das mal, ironischerweise, die FDP, sie warb damit sogar für sich. Mehr denn je geht es um Maß und Mitte und Substanz von Politik. Es teilt sich schon mit, ob und wem sie fehlt. Umfragen mögen Momentaufnahmen sein, aber einen Hinweis auf die wahre Wirklichkeit geben sie schon. Und mehr denn je geht es darum, in der Politik so zu handeln, wie es prägnant Rau formulierte, verbunden mit der Autorität dessen, der auf ein reichhaltiges politisches Leben zurückblicken konnte: 'Sage, was du tust, und tue, was du sagst.' Einfach, wahr.

"Politik kann dazu beitragen, dass diese Welt ein Stück menschlicher wird", lautete die Losung für die Festveranstaltung. Auch das ist ein Satz von Rau. Menschlichkeit ist kein Makel, auch kein Romantizismus, sondern eine Auszeichnung. Nicht alles darf der Technik der Macht überantwortet werden. Eine menschliche Gesellschaft ist eine, die es Zynikern schwer macht. Das ist als politische Aufgabe in ihrer Bedeutung unterschätzt. Denn Zynismus ist eine Form von Abwehr, Zyniker sind verletzte Seelen. Johannes Rau hat es immer verstanden, diese Verletzungen zu sehen. Überall, wohin ihn Politik brachte. Das macht bis heute seinen Wert aus. Und einen Nachfolger hat er bis heute nicht.

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