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Die große Zahl an Unterrichtsausfällen ist ein Problem, das die Schulreform noch lösen muss.

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Schulreform: Krankes System

Harald Martenstein findet die Diskussionen über Schulstrukturreformen absurd. Solange in einer Gymnasiumsklasse 32 Kinder sitzen und es manchmal Glückssache ist, ob morgens überhaupt ein Lehrer vor dieser Klasse steht, erübrigt sich jede Reformdebatte.

Kürzlich musste ich nach Frankfurt, das dauerte mit dem Zug sieben Stunden. Ich fahre oft Bahn, deswegen finde ich die Argumente für das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ völlig wirklichkeitsfremd. Als ob es darauf ankäme, für viel Geld Fahrtzeiten zu verkürzen, etwa die Fahrtzeit von Stuttgart nach Ulm. Jeder regelmäßige Bahnkunde wäre doch hochzufrieden, wenn wenigstens die vorhandenen Fahrpläne halbwegs pünktlich eingehalten würden. Macht die Züge pünktlich – und dann, erst dann, lasst uns darüber reden, ob sie womöglich noch schneller fahren können.

Das Gleiche gilt für die Schule. Das Bildungswesen soll verbessert werden? Nun, ich hätte da eine Idee. Sie heißt: Kleinere Klassen und kein Unterrichtsausfall. Dass überhaupt Schulstunden ausfallen, ist keinem Menschen begreiflich zu machen, der anderswo sein Geld verdient. Auch Journalisten werden manchmal krank, oft sogar mehrere gleichzeitig. Sie können sich als Kunde darauf verlassen, dass die Zeitung trotzdem erscheint. Und falls alle Sportredakteure Grippe haben, dann macht halt notfalls jemand aus einem anderen Ressort den Sportteil, er wird nicht so gut sein, er wird Fehler enthalten, aber er wird erscheinen. Autofabriken, Anwaltskanzleien, Ärzte, alle Arbeitenden bilden sich fort, halten Konferenzen ab, werden krank, aber ihre Firmen stellen trotzdem so gut wie nie ihren Betrieb ein. Notfalls wird improvisiert. Die Schule ist der einzige Produzent, der es sich leisten kann, die Lieferung seines Produktes, des Unterrichts, bei der kleinsten Unwucht im Getriebe einfach einzustellen.

Deshalb finde ich die Diskussionen über Schulstrukturreformen so absurd. Sorgt dafür, dass unterrichtet wird, dann reden wir weiter. Solange in einer Berliner Gymnasiumsklasse 32 Kinder sitzen und es manchmal Glückssache ist, ob morgens überhaupt ein Lehrer vor dieser Klasse steht, erübrigt sich jede Reformdebatte. Im Gegenteil, durch permanentes Reformieren wird alles nur immer unübersichtlicher und wirrer, das Schulwesen ist bald noch komplizierter als das Steuerrecht. Macht es doch, zur Abwechslung, mal einfacher. Warum können nicht pensionierte Lehrer, freiberufliche Pädagogen und Eltern, die Lust dazu haben, schnell und unbürokratisch als Ersatz eingesetzt werden, wenn jemand sich krankmeldet? Jede Stunde, die auf dem Stundenplan steht, wird auch tatsächlich gegeben – das wäre die erste Schulreform, die garantiert etwas bringt. Aber dazu müsste man erst einen harten Entbürokratisierungskampf gegen die Gewerkschaft und gegen tausend Bedenkenträger durchfechten, es wäre so revolutionär, dass die dreißigste komplizierte, nutzlose, im Zweifel eher schädliche Schulstrukturreform eben der bei Weitem unanstrengendere Weg ist.

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