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Meinung: Krieg aus Mangel an Beweisen

Saddam muss belegen, dass er keine Massenvernichtungswaffen besitzt

Wenn Aussage gegen Aussage steht, müssen Beweise auf den Tisch. Normalerweise. Amerika behauptet, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, der Irak bestreitet das. Also sind UN-Inspekteure losgeschickt worden, die Behauptung zu überprüfen. Bislang haben die Inspekteure nichts gefunden. Ist damit bis auf weiteres der Irak unschuldig, liegt die Beweislast bei Amerika? Nein. Wer glaubt, die Blix-Truppe müsse mindestens zwanzig Liter Anthrax finden, bevor Saddam Hussein ein Problem bekommt, liegt falsch. So mag die Wahrnehmung in vielen Ländern sein. Doch das ist Wunschdenken. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Die UN-Resolution 1441 legt die Beweislast weder in die Hände der USA noch in die der Uno, sondern eindeutig in die Hände Husseins. Er muss nachweisen, was aus jenen Beständen an Nervengas und anderen biochemischen Waffen geworden ist, die sich noch 1998, als die letzten UN-Inspekteure das Land verlassen mussten, in seinem Besitz befanden. Er muss nachweisen, dass sämtliche verbotenen Trägersysteme zerstört wurden. Er muss nachweisen, dass er seine Programme zum Bau atomarer Waffen aufgegeben hat. Sein 12 000 Seiten langer Bericht, den er im Dezember der Uno übergab, leistet all das nicht. Wesentliche Fragen seien unbeantwortet geblieben, kritisierte Hans Blix jetzt gegenüber dem UN-Sicherheitsrat.

Das allein allerdings wäre dennoch ein unzureichender Kriegsgrund. Insofern stimmt es, dass sich die Dynamik des Irak-Konfliktes durch die Einschaltung der Uno verändert hat. Washington bastelt zwar fleißig weiter an seiner Drohkulisse – mehrere zehntausend Soldaten sind auf dem Weg in die Golfregion, der Planungsstab wurde nach Qatar verlegt, Pläne für eine Nachkriegsordnung werden geschmiedet –, doch sogar beim engsten Verbündeten, in Großbritannien, mehren sich nun die Stimmen derer, die Geduld anmahnen. Ein nicht ganz vollständiges Dossier ist zu dürftig, um eine plausible völkerrechtliche Legitimation für einen Krieg zu liefern.

Das weiß auch die Regierung in Washington. Eine gewisse Nervosität geht mit diesem Wissen einher. Der Grund dafür ist einfach: Während sie mit einem Fuß kräftig auf die Bremse gedrückt hat, gibt sie mit dem anderen Gas. Die Einschaltung der Uno war ein verzögerndes Element. Doch es gibt auch beschleunigende Faktoren. Einer davon ist die Wirtschaft. Weltweit halten sich die Investoren zurück. Ob es zum Krieg kommt oder nicht, ist ihnen egal. Was sie gar nicht mögen, ist Unsicherheit. Sowohl Länge als auch Dauer eines Irak-Krieges liegen jenseits einer rationalen ökonomischen Analyse. Die Botschaft der Ökonomen an die Adresse der Bush-Regierung ist daher laut und deutlich zu vernehmen: Entscheidet euch endlich!

Ein zweiter beschleunigender Faktor ist die Unruhe der Falken. Es gibt starke Kräfte in den USA, die den Gang zur Uno mit großer Skepsis begleitet haben. Ihre Befürchtung, der Krieg werde dadurch endlos hinausgezögert, scheint sich zu bestätigen. Für diese Kräfte ist die Entwaffnung Saddam Husseins nur der willkommene Nebeneffekt einer Invasion. Ihr Ziel ist die Neuordnung des gesamten Nahen Ostens, die Demokratisierung der arabischen Welt, eine bessere Kontrolle der Ölvorkommen. Die Konzentration auf die Arbeit der UN-Spurensicherer wird von diesen Kräften verspottet. Für die USA sei die Kampagne gegen Saddam Hussein keine „kleinliche Übung in Selbstverteidigung, sondern eine Mission der Moralität und Menschenrechte“, sagte unlängst einer von ihnen. Noch beschränken die Falken ihre Häme auf Außenminister Colin Powell. Doch Bush muss aufpassen, nicht bald selbst in deren Visier zu geraten.

Zur Entwarnung besteht kein Anlass. Das Gespenst des Krieges ist nicht gebannt. Und so wichtig die Arbeit der Inspekteure sein mag: Über einen Waffengang wird letztlich in Washington entschieden. Und dort herrschen andere Gesetze als allein die des Völkerrechts. Wer mit einem Fuß auf der Bremse steht und mit dem anderen auf dem Gaspedal, kann leicht aus der Kurve fliegen.

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