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Meinung: Krieg in Nahost: Scharon - sein eigener Gefangener

Ariel Scharon liebt die Öffentlichkeit nicht. Auch deswegen war seine Rede an die Nation nach fast einem Jahr als Premier mit Spannung erwartet worden.

Ariel Scharon liebt die Öffentlichkeit nicht. Auch deswegen war seine Rede an die Nation nach fast einem Jahr als Premier mit Spannung erwartet worden. Doch Ari, der Löwe, miaute bloß. Und ein politisches Konzept fehlte ganz.

Scharon hatte im vergangenen Jahr höchste Zustimmungswerte erhalten. Jetzt aber zweifeln immer mehr Israelis an seiner einfachen Formel: Härte, Härte, Härte. 2000 Soldaten und Ehemalige aus Geheimdienst und Armee haben eine Kampagne gegen die Besatzung gestartet; über dreihundert Soldaten verweigern den Dienst in der Westbank und in Gaza. Sie sind es Leid, ihr Leben für die Siedler aufs Spiel zu setzen und ein demütigendes Besatzungsregime aufrecht erhalten zu müssen. Außerdem schadet der Palästinenseraufstand Israels Wirtschaft. Mit 10,2 Prozent ist die Arbeitslosigkeit so hoch wie noch nie seit Staatsgründung. Das Land fällt in eine schwere Rezession. Und seit der wahllosen Zerstörung palästinensischer Wohnhäuser in Gaza macht ein Wort die Runde, das vorher niemand auszusprechen gewagt hätte: Kriegsverbrechen.

Zweifellos befindet sich Israel im Kriegszustand. Täglich gibt es Gefechte, täglich steigt die Zahl der Opfer. Aber auch im Krieg ist die planvolle Zerstörung von zivilen Zielen verboten. Die maßlose Enttäuschung und berechtigte Wut über Arafats doppeltes Spiel weicht in Israel den Fragen: Was tun wir hier eigentlich? Wo soll das enden? Enden könnte es mit einer Niederlage Scharons im Kräftemessen der alten Männer.

Scharon ist sich selber in die Falle gegangen. Schließlich war er es, der nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 jene Siedlungsstruktur entworfen hat, die sich heute wie ein Netz über das Westjordanland legt - und die heute nur unter größtem Aufwand geschützt werden können. Wie 1982 im Libanonkrieg hat Scharon die harte Lösung gesucht, eine militärische. Doch wie im Libanon lässt sich von der einheimischen Bevölkerung getragener Guerillakrieg nicht gewinnen. Auch Pufferzonen verbessern die Sicherheit von Soldaten und Siedlern kaum. So bleibt das Problem, dass sich Scharon der einzigen militärisch sinnvollen Lösung - bis zu einem politischen Abkommen - aus ideologischen Gründen verschließt: Für einen vorläufigen Rückzug auf eine leichter zu verteidigende Frontlinie müsste er 50 meist entlegene Siedlungen aufgeben und die Siedlerbewegung vor den Kopf stoßen.

Ganze 17 Monate haben die Palästinenser benötigt, bis sie verstanden, dass sie mit Attentaten auf Zivilisten innerhalb Israels jeglichen Kredit in der Welt verspielen. Der Wechsel der Taktik hin zu Operationen nur in den besetzten Gebieten lässt sich im Ausland einfacher als "Befreiungskampf" darstellen. Und Arafat treibt so auch einen Keil in die israelische Gesellschaft. Die wird sich verstärkt fragen, warum Soldaten, Wehrdienstleistende und Reservisten ihr Leben für national-religiös inspirierte Fanatiker in den Siedlungen aufs Spiel setzen sollen.

Scharon spürt, dass ihm die Situation zu entgleiten beginnt. Er appelliert an die Einheit der Nation - doch die fragt sich zunehmend, warum ihr Premier die Phase relativer Ruhe nach Arafats Aufforderung zur Gewaltlosigkeit am 16. Dezember ungenutzt hat verstreichen lassen. Die größte Gefahr besteht derzeit darin, dass Scharon den Kampf der alten Männer auf seine Art zu entscheiden versucht: Indem er die Autonomiegebiete wieder ganz besetzt und Arafat aus dem Land befördert. Wie damals in Beirut. Das Ergebnis wäre ein Guerillakrieg in den gesamten besetzten Gebieten.

Noch halten die Amerikaner Scharon vom Äußersten ab. Die Nahostreise von Dick Cheney am 10. März soll nicht belastet werden. Cheney wird die Araber von der Notwendigkeit eines Schlages gegen Saddam Hussein überzeugen wollen. Aber danach? Israels Gesellschaft und die Schutzmacht USA haben Scharon die Chance gegeben zu beweisen, dass er mit harter Hand dem Land mehr Sicherheit verschaffen kann. Das Gegenteil ist der Fall, weil der Premier zu viele Chancen ausgelassen hat, militärische Härte mit politischen Angeboten zu verknüpfen. So ist aus Ari, dem Löwen, Ari der Ratlose geworden. Dabei hat er einen an der Seite, der jetzt seine Chance verdient hätte - Schimon Peres. Denn Scharon, das hat die Rede aller Öffentlichkeit gezeigt, ist mit seiner Politik am Ende.

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