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Meinung: Krieg nach Wahl

Beim Thema Irak lavieren Politiker aller Parteien, doch keiner so wie der Kanzler

Von Christoph von Marschall

Gerhard Schröder rühmt sich, er sei der Kanzler eines „weiter entwickelten Selbstverständnisses deutscher Außenpolitik“; der die „neue Verantwortung“ akzeptiert, Freiheit und Stabilität notfalls militärisch zu verteidigen, und Abschied nimmt von der deutschen Leitlinie, jedes unmittelbare Risiko zu vermeiden. So formulierte Schröder sein Selbstbild in der Regierungserklärung vom Oktober 2001. Direkt nach den Anschlägen vom 11. September hatte er sich bereits zur uneingeschränkten Solidarität mit Amerika bekannt. Und anderthalb Jahre zuvor das Land in den ersten Kampfeinsatz seit 1945 geführt, in eine Intervention zum Schutz der Menschenrechte im Kosovo.

Heute scheint Schröder nicht mehr stolz zu sein auf seine historische Rolle. Er warnt die USA vor einem Militärschlag gegen Irak, erweckt den Anschein, als wolle er selbst hinter den Beitrag zum Golfkrieg 1991 zurück: Damals schickte Deutschland keine Soldaten und stattdessen DM-Milliarden. Keine Scheckbuch-Politik, sagt der Kanzler heute – und lässt offen, ob er sich an einer Koalition mit Mandat der UN beteiligen würde. General Müntefering sagt offen, für die SPD sei eine Irak-Operation auch mit UN-Mandat ein unverantwortliches „Abenteuer“.

Die grüne Parteichefin Claudia Roth sieht das genauso. Doch hatte nicht Rot-Grün die Vereinten Nationen zur allerhöchsten Instanz in Fragen internationaler Gewaltanwendung erklärt? Offenbar gibt es eine noch höhere moralische Instanz: Claudia Roth höchstpersönlich. Wenn sie die Logik eines Mandats des UN-Sicherheitsrats nicht teilt, dann wird Widerstand zur Pflicht!

Wäre da nicht Hans-Ulrich Klose, der SPD-Fachmann für Sicherheitspolitik, der seine Partei daran erinnert, dass gerade Deutschland die Pflicht habe, UN-Entscheidungen mitzutragen, müsste man meinen, Rot-Grün habe eine Kehrtwende vollzogen.

Auch die anderen Parteien lavieren. Die Beteiligung an einem Krieg ist, Gott sei Dank, nicht populär. So spricht nur CDU-Vize Schäuble offen aus, dass sich Deutschland einer von den UN beschlossenen Aktion nicht verweigern dürfe. Kandidat Stoiber zieht sich darauf zurück, die deutsche Debatte sei schädlich, weil sie die Wirkungsmöglichkeiten der UN beschneide. Die FDP greift, wie die Union, die Regierung wegen ihrer Verweigerungshaltung an und fordert gar eine Bundestagssondersitzung – vorsichtshalber aber, ohne sich selbst festzulegen, was sie militärisch mitmacht und was nicht.

Und was gilt nach dem 22. September? Schwer vorstellbar, dass all diese Äußerungen ins Vergessen rutschen. Ja, wenn Rot-Grün gegen alle Prognosen doch noch eine Regierungsmehrheit rettet, dann wäre es dem Kommunikator Schröder zuzutrauen, dass er die Rhetorik wendet und den parteiübergreifenden Verantwortungskonsens beschwört. Wie nach dem 11. September, als alle Parteivorsitzenden den neuen Terrorismus in einem gemeinsamen Aufruf als „Angriff auf die gesamte zivilisierte Welt“ verurteilten. Oder Mitte November 2001, als alle Parteien mit Ausnahme der PDS für den Afghanistan-Einsatz stimmten.

Wenn aber im Winter Schwarz-Gelb regieren und die Entscheidung über einen Irak-Einsatz mit UN-Mandat anstehen sollte: Wird es dann noch stimmen, dass ein SPD-Kanzler die große Mehrheit der Gesellschaft in eine neue Epoche geführt hat, in der Deutschland mit internationaler Verantwortung so umgeht wie Frankreich oder Großbritannien? Oder treten dann wieder die Spaltlinien und Verhaltensmuster aus der Zeit vor Rot-Grün zu Tage: mit machtvollen Straßenprotesten gegen die „rechten Kriegstreiber“ und Bettlaken in den Fenstern „Tina (4) will kein Blut für Öl“?

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