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Otto Schily wurde am 20. Juli 1932 geboren.

Otto Schily wurde am 20. Juli 1932 geboren. Im Herbst 2002, wenn der neue Bundestag gewählt werden wird, ist er 70. Und danach würde er gern, wenn die Schröder-Regierung bestätigt werden sollte, Bundesminister des Innern bleiben. Das hat Schily jetzt bekannt gegeben und damit seine ursprünglichen Pläne revidiert, nur eine Legislaturperiode lang im Kabinett dienen zu wollen.

Die Begründung war, wie stets bei dieser Regierung, eine Mischung aus gelangweilter Kontinuitätsbetonung und einem saloppen Scherz. "Natürlich gibt es auch noch viel zu tun", hat Schily gesagt. "Und weil es noch viel zu tun gibt, habe ich mich auf Bitten von Bundeskanzler Schröder bereit gefunden, noch eine Weile weiterzuarbeiten. Das dient auch der Entlastung der Renten."

Aha. Das Bundeskabinett als Auffangbecken für ruheunwillige Vollblutpolitiker? Von ganz oben ein Signal für die Verlängerung der Lebensarbeitszeit? Schily ist kein Greis. Trotzdem wäre er der älteste Minister seit langem. Seit Fritz Neumayer (1953-1956, geboren 1884) und Fritz Schaeffer (1957-1961, geboren 1888) Justizminister in Adenauers Kabinetten waren, um genau zu sein. Einen Minister, der zum Beginn einer Legislaturperiode 70 oder älter war, gab es in Deutschland noch nie.

Was ist so wichtig an Otto Schily, dass Schröder ihn für unverzichtbar hält? Er steht für die Glaubwürdigkeit einer Entwicklung, die weit links begann und im Schoß der Mitte-SPD endete. Während der RAF-Prozesse war der Anwalt Schily ein Agitator, der die Bundesrepublik häufig der Ansätze zum Staatsterrorismus bezichtigte. Dann half er, die Grünen zu gründen, und litt später so sehr unter der neuen Partei, wie die SPD, die sich selbst stets als Mutter der verlorenen Söhne und Töchter betrachtete.

Schily steht wegen seines langen Marsches auch für die Zulässigkeit von Äußerungen, die aufgrund dieser Biografie vom Verdacht befreit sind, populistisch oder gar rechtslastig zu sein. Schily war es, der am 15. November 1998 im Streit über die Ausländerpolitik meinte: "Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten."

Das klingt wie: "Das Boot ist voll." Das hat Schily aber nicht gesagt. Das wäre ein Spruch unter dem Generalverdacht neonationalistischer Dumpfheit. Schily hat etwas anderes gesagt. Und er ist etwas anderes. Er ist der Garant des Sieges des gesunden Menschenverstandes über jeden Ideologieverdacht. Gerade beim Thema Zuwanderung, das Schily in diesen Tagen mit koordiniert, ist so jemand für den Kanzler verlässlich. Und würde im Koalitionsstreit mit den Grünen das völlig falsche Signal setzen, wenn er sich selbst als Auslaufmodell bezeichnen würde.

Grummeliger Menschenverstand statt pathetische Grundsätze: Genau dies mag Schröder. Sein ex-grüner Minister, der erst 1989 den Übertritt in die SPD vollzog, ist Teil eines Projekts, kollektive Ideologie durch individuelle Erfahrung zu ersetzen. Wo das, was Politik prägt, Wertungen, Haltungen und Einstellungen also, zuallererst der Ausfluss von Biografie ist, flexibel Gelerntes also statt starr Geglaubtes, da steht der alte Schily für viel Lernen, viel Haltung, viel Wert.

So jemanden als Zuständigen für die Innere Sicherheit zu haben, ist die Brücke vom Fundamentalprotest zur neuen Mitte. Gleichzeitig ist ein alter Haudegen auf einem so sensiblen Feld wie der Bedrohung des Bürgers durch das Verbrechen die ideale Rückversicherung zur Basis. Schily treibt der SPD keine neuen Wählermassen zu, und seine Platzierung auf der Landesliste Bayern ist auch nur ein schwaches Argument für den nötigen Regionenproporz im Kabinett. Schily ist aber jemand, der verhindert, dass Stammwähler am Rande der SPD-Verdrossenheit sich endgültig von einer Partei abwenden, die ihnen als zu modisch und liberal-experimentell erscheint.

Seit Adenauer hat nie mehr ein mindestens 70-Jähriger im Bundestag seinen Amtseid abgelegt. Schily wäre der Erste. Wenn das keine Kontinuität verspricht! Gerade die Mischung aus Brüchen und Kontinuität, für die Schily steht, macht ihn für die Sozialdemokratie so attraktiv. Stünde er noch mehr im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit, er wäre, was Anpassung an die Zeitläufe angeht, der Joschka Fischer der SPD. Nur das Angekommensein hat bei Schily, wie bei Schröder, eine andere Qualität als beim Außenminister. Wo der einst landen wird, weiß niemand. Schily ist fraglos dort, wo er sein will. Auch das mag der Kanzler, auch das macht ihn verlässlich.

Wenn es nach Schöder geht, ist Schily auch die Zukunft der Grünen. Wenn die alle dort ankämen, wo der Innenminister längst ist, wäre dem nicht-linken Schröder ein Umarmungsprojekt gelungen, das dem Linken Lafontaine misslang. Auch für diese Fantasie des Gerhard Schröder steht Otto Schily. Auch deshalb ist er unverzichtbar.

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