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Regierungschef Arseni Jazenjuk (2.v.l.) kündigte weitere Runde Tische an.

© APF

Krise in der Ukraine: Gogol kann man nicht aufteilen

Der Verrat an der Sprache, dieser Wortbruch im Wortsinn, ist auch in der jüngeren Geschichte der Nationalstaaten nicht ohne Vorbild. Aber auch in der Ukraine ließen sich aus Worten Brücken bauen.

Von Caroline Fetscher

Auf das Sprechen kommt es an, in der Diplomatie. Auch dort, wo jetzt an den runden Tischen in der Ukraine verhandelt wird, zählt jedes Wort. Nun behaupten die beiden ukrainischen Kontrahenten in diesem Streit, sie besäßen zwei komplett unterschiedliche, miteinander nicht verträgliche Kulturen, Sprachen, „Mentalitäten“, nämlich eine ukrainische und eine russische. Längst ist sogar immer wieder von „Russen“ die Rede, wenn es um russischsprechende Ukrainer geht, was so falsch ist, als würde man frankophone Schweizer als Franzosen bezeichnen.

Russisch und Ukrainisch sind im Übrigen, folgt man Sprachwissenschaftlern, eng miteinander verwandt, auch wenn seit Jahren mehr und mehr auf Unterschiede gepocht wird, die teils konstruiert werden. Der 1961 geborene Schriftsteller Michail Schischkin schrieb Anfang März in der „Neuen Zürcher Zeitung“. „Den Verbrechern an der Macht gelang es, eine unverzeihliche Gemeinheit durchzuführen: Russen und Ukrainer gegeneinander aufzuhetzen, die Sprache nicht zu einem Mittel der Verständigung, sondern zu einer Waffe des Hasses zu machen.“ Schischkins Mutter ist Ukrainerin, sein Vater Russe, und er wies darauf hin, dass es Millionen wie ihn gibt. Im selben Essay fragte Schischkin daher: „Wie kann man also die einen von den anderen unterscheiden? Sie bei lebendigem Leib aufschlitzen? Wie kann man Gogol aufteilen? Ist er nun ein Klassiker der russischen oder der ukrainischen Literatur?“ Er gehört beiden, selbstverständlich, und auch die raffinierteste Geschichtsklitterung und Sprachpolitik wird solche Fakten nicht auslöschen können. Sie kann sie aber strategisch verschleiern.

Leider ist der Verrat an der Sprache, dieser Wortbruch im Wortsinn, auch in der jüngeren Geschichte der Nationalstaaten nicht ohne Vorbild. Als Serben und Kroaten in Ex-Jugoslawien anfingen, das Serbokroatische zu zerbrechen in eine kroatische und eine serbische Sprache, schlugen sie damit auf die gemeinsame kulturelle und politische Basis ein. Das ethnische Gespenst des Nationalismus führte zum Staatszerfall, zur ökonomischen Stagnation, zu tausendfachen Traumata. Inzwischen stehen neue Wörterbücher in den Regalen, ganze Werke wurden aus Fremdsprachen neu übersetzt, das Sprechen der „Anderen“ wurde zeitweilig im Fernsehen mit Untertiteln begleitet, obwohl man einander mühelos verstand. Täglich wurden neue, teils groteske, Begriffe erfunden, um die Sprachen voneinander abzugrenzen, was der Bevölkerung Stoff für Witze bot.

In der Ukraine wird Ähnliches versucht, und die größeren Unterschiede machen es den Demagogen sogar leichter, mit manipulativer Identitätspolitik zu hantieren. „Wir hatten gemeinsame Feinde – uns selbst“, konstatiert Schischkin. „Unsere schreckliche gemeinsame Vergangenheit hält beide Nationen mit tödlichem Griff zurück und entlässt uns nicht in die Zukunft.“ Um diese Zukunft geht es im Augenblick an den runden Tischen, auf denen nicht alle Verwerfungen der Vergangenheit geglättet werden können, sondern die Worte der Gegenwart zählen. Wörter, Sätze lösen Assoziationen aus, sie haben, wie Lichtquellen im Dunkeln, einen Hof. Jemanden in dessen Sprache anzusprechen zum Beispiel, weist meist die Mühe nach, ihn verstehen zu wollen und Vertrauen zu schaffen.

An den runden Tischen in der Ukraine können, sollten, müssen westliche Diplomaten für den Gedanken werben, dass ukrainische Politiker beider Seiten öffentlich wenigstens einige Worte in der jeweils als Idiom „der Anderen“ bezeichneten Sprache an eben diese „Anderen“ richten. Wenn der Ministerpräsident in Kiew in einer Rede einige Sätze auf Russisch sagt, wenn es zudem Sätze sind, die von Gemeinsamkeiten handeln und dem Wunsch nach Lösung und Versöhnung zum Wohl der heranwachsenden Generationen, wird das starke Wirkung haben; und umgekehrt gälte dasselbe. Solcher Gebrauch von Sprache wäre das unmissverständlichste Signal einer Distanzierung von der sprachpolitischen Gemeinheit, die Schischkin benennt.

In einer Diplomatie, die Schritt für Schritt vorgeht, also zunächst ohne den Verhandlungspartnern eine Riesenvision aufzuzwingen, wäre dies einer der Schritte, hinter den keiner zurück kann. Solche Worte wären in der Welt. Einmal im Orbit würden die Worte auf Youtube laufen und in sozialen Netzwerken, sie würden gehört. Sicher, sie ließen sich noch aus dem Kontext zerren oder denunzieren. Aber ebenso sicher wäre ihre Wirkmacht stärker.

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