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Kritik an Reichen: Reden wir über Geld!

Als Kritiker der Reichen gilt man schnell als Sozialneidhammel. Das dürfte sich ändern. Denn auch manchen Reichen reicht’s jetzt.

W er wird Millionär? Diese Frage könnten sich demnächst wohl einige Noch-Milliardäre in den USA stellen. Auf Anregung von Microsoft-Gründer Bill Gates und dem Großinvestor Warren Buffett sollen oder wollen Amerikas Superreiche einen Teil, manche sogar einen Großteil ihres Vermögens zu menschenfreundlichen, dem Gemeinwesen dienenden Zwecken stiften.

Gates und Buffett, New Yorks Bürgermeister (und Medienunternehmer) Michael Bloomberg, Bankier David Rockefeller oder „Star Wars“-Erfinder George Lucas hoffen so auf mindestens 600 Milliarden Dollar Spenden- und Stiftungsgelder. Bisher wird in den USA jährlich ungefähr die Hälfte dieser Summe von Privatleuten für das Wohl ihrer Mitmenschen (und das eigene Seelenheil) spendiert.

In Deutschland schätzt man das Vermögen aller inländischen Stiftungen auf etwa 100 Milliarden Euro. Das entspricht gerade der Hälfte des Stammkapitals der in weltweite Gesundheits- und Bildungsprojekte investierenden Stiftung von Bill und Ehefrau Melinda Gates. Auch wirken die zwei Milliarden Euro, die in Deutschland im Jahr 2009 karitativ gespendet wurden, nur auf den ersten Blick recht imponierend. Verglichen mit dem auf über fünf Billionen geschätzten Nettovermögen aller Deutschen (einschließlich Immobilienbesitz) sind das nicht einmal 0,05 Prozent des eigenen Hausschatzes.

Allerdings hinken die Vergleiche mit den USA insoweit, als der Staat dort sehr viel schwächere Sozial- und Bildungssysteme unterhält und einen wesentlichen Teil der öffentlichen Infrastruktur aus protestantisch pionierhafter Tradition dem Engagement der Bürger überlässt. Doch auch in Deutschland, wo Staat und Kommunen nach den Folgekosten der Einheit und der jüngsten Finanzkrise unter der öffentlichen Schuldenlast ächzen, meint die viel beschworene zivilgesellschaftliche Beteiligung zunehmend auch eine stärkere Öffnung privater Geldquellen.

Das Thema korrespondiert zugleich mit der neuen Gerechtigkeitsdebatte. Denn nicht nur die öffentliche Hand ist vielerorts allzu dürr geworden. In der Gesellschaft eines der noch immer reichsten Länder der Erde wächst tatsächlich die Armut: In der deutschen Hauptstadt bedarf etwa jeder fünfte Einwohner der öffentlichen Fürsorge, der bürgerliche Mittelstand in Deutschland schrumpft und wird mehr und mehr geplagt von sozialen Abstiegsängsten, und der Staat möchte nach den Vorstellungen der Bundesregierung vornehmlich an den Ärmeren sparen und ins soziale Netz einschneiden. Gleichzeitig aber werden die Reichen immer reicher.

Dieser Spruch kommt nun nicht mehr aus dem linksradikalen Leierkasten, sondern entspringt der schieren Statistik. Zehn Prozent der Bundesbürger besitzen zwei Drittel aller Privatvermögen, und die soziale Schere öffnet sich immer weiter und schärfer. Das ergibt die letzte Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Oder nehmen wir einen Einzelfall: Zwischen den Jahren 2000 und 2007, sagt der Berliner Mediziner und wohlhabende Erbe Dieter Lehmkuhl stellvertretend für etwa eine halbe Million Vermögensmillionäre im Land, hätten sich seine Einkünfte aus Kapital und sonstigem Vermögen verdoppelt und die Steuern im gleichen Zeitraum halbiert.

Wer in Deutschland etwa 50 000 Euro im Jahr verdient, hat wegen der Steuerprogression im mittleren bis fast schon unteren Einkommensbereich in der Tat Grund zum Ärger. Wer jedoch sechs- und siebenstellige Summen oder noch sehr viel mehr verdient, für den sind die Steuerparolen beispielsweise der FDP, dass sich „Leistung wieder lohnen muss“, ein Witz.

Das räumen inzwischen auch Vertreter des CDU-Wirtschaftsrats ein. Und einer wie der Berliner Millionär Lehmkuhl hat mit zwei Dutzend anderen Reichen unter anderem eine zweijährige Zwangsabgabe von fünf Prozent auf Vermögen ab 500 000 Euro gefordert, was nach Berechnung der Lehmkuhl-Initiative etwa 50 Milliarden Mark in die öffentlichen Kassen gespült hätte. Auch der Milliardär und Karstadt-Käufer Nicolas Berggruen hat kürzlich in einem Interview mit der „tageszeitung“ dafür plädiert: „Die Reichen sollten mehr bezahlen.“ Und Berggruen, der von sich sagt: „Ich bin kein Moralist“, fügt hinzu, was außer einer neoliberalen Wirtschaftslobby eigentlich jeder weiß und sagen könnte: „In Skandinavien sind die Steuern sehr hoch, aber die Länder sind überdurchschnittlich erfolgreich und der Lebensstandard ist sehr gut.“

Man spricht also wieder über Geld. Das tut die Mehrheit der Menschen aus Not oder Lust, aus Neid, Geiz oder Habsucht ohnehin immerzu. Aber – wieder im Unterschied zu den USA –: Es galt bei uns doch die längste Zeit als eher unfein, darüber zu reden. Zumindest sprach man nicht so gern über das eigene Geld. Vor allem nicht, wenn man viel davon hat.

Freilich gibt es auch in Deutschland mehr Philanthropen und Mäzene, als mancher denkt. Zurzeit existieren bei uns etwa 17 400 Stiftungen, deren Gesamtvermögen auf die bereits genannten 100 Milliarden Euro geschätzt wird. Bemerkenswert ist, dass von ihnen nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Stiftungen über 90 Prozent keine unternehmerisch-privatwirtschaftlichen Ziele verfolgen, sondern gemeinnützig sozialen und kulturellen Zwecken dienen. Allein im Jahr 2009 seien in Deutschland auch 914 Stiftungen neu gegründet worden.

Unter Deutschlands Reichen sind etliche herausragende Stifter-Persönlichkeiten, vom hundertjährigen Hamburger Versandhausmilliardär Werner Otto bis zum Berliner Unternehmer Hans Wall oder der Verlegerin Ruth Cornelsen, die mit ihrem Engagement in Berlin und Brandenburg seit der Wende zahlreiche Institutionen, Projekte und die Erhaltung von Kulturdenkmälern fördern.

Doch die edlen Spender sind noch immer eine kleine Minderheit im bundesdeutschen Wohlstandsmilieu. Nach Recherchen des Tagesspiegels lag der zuletzt vor neun Jahren erfasste Spendenanteil von Personen, die mindestens 100 000 Euro im Jahr verdienen, im Verhältnis zu ihrem Vermögen um fast zwei Drittel unter dem, was die geringer Verdienenden für soziale Zwecke gespendet hatten.

Man muss im Übrigen auch kein Investmentbanker mit Millionenboni und keine Hedgefondsheuschrecke sein, um den wohl allzu menschlichen Zusammenhang von Gier und Geiz zu verkörpern. Eine Weisheit nicht nur aus Großväterzeiten lautet: Sparen, das lernst du bei den Reichen!

Wahrscheinlich hätte man es ganz gut auch beim jüngst verstorbenen Aldi-Mitgründer Theo Albrecht lernen können. Zusammen verfügten die Albrecht-Brüder Theo und Karl über ein geschätztes Gesamtvermögen von über 30 Milliarden Markt. Ihr in eine Aldi-Nord- und Aldi-Süd-Kette aufgeteiltes Discounter-Imperium ist in zahlreiche Regionalgesellschaften unter dem Dach zweier Unternehmsstiftungen verschachtelt, aus vor allem betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Gründen. Deutschlands reichstes Brüderpaar galt, zumal nach einer erst mit einer Lösegeldzahlung beendeten 17-tägigen Entführung von Theo Albrecht vor knapp dreißig Jahren, als besonders diskret. Die „Bild“-Zeitung nannte Theo Albrecht „Deutschlands geheimnisvollsten Millionär“, der persönlich hochbescheiden gelebt haben soll („Bild“: „Seine Villa ist die kleinste“).

Theo Albrecht hat angeblich ein Vermögen von über zwölf Milliarden Euro hinterlassen. Was aber macht ein so scheuer und bescheidener Mensch zu Lebzeiten mit so unendlich viel mehr Geld, als es selbst ein Verschwendungssüchtiger je ausgeben könnte? Diese Frage hat nichts mit dem blöden, bisher fast jede Diskussion über die Verantwortung der Reichen in Deutschland knebelnden Reizwort „Sozialneid“ zu tun. Und man kann sie auch nicht so recht mit dem Verweis auf Onkel Dagobert und sein tägliches Goldtalerbad beantworten.

Vergangenen Montag zeigte die ARD den dreiviertelstündigen Versuch einer dokumentarischen Nahaufnahme von Josef Ackermann. Der Chef der Deutschen Bank wurde offenbar nicht direkt auf seine (möglichen) sozialen Nebenaktivitäten angesprochen. Aber Ackermann sagte gegen Ende des Films, der mit einer Fahrt in seiner gepanzerten Limousine hin zu seinem New Yorker Wallstreet-Büro begonnen hatte, mit einem fast selbst verwunderten Lächeln, er könne nicht gut an einem Menschen vorbeigehen und nichts geben, wenn der aus Armut um Geld bettle. Darauf folgte, mit Blick auf den durch Manhattan rollenden schwarzen Dienstmercedes, der letzte Kommentarsatz des Films: Ackermann gehe an keinem Armen vorbei. Er fahre ja höchstens an ihm vorbei.

Wer einmal nur eine halbe Stunde durch die Randbezirke der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt Essen gefahren ist, in der auch Theo Albrecht (im besseren Stadtteil Bredeney) gelebt hat, der sieht eine einzige Spur von öffentlichem Verfall, von grauer, prekärer Tristesse. Vor allem in Nordrhein-Westfalen, dem einstigen industriellen Herzen der Republik, ist die dramatische Verarmung der Kommunen und ihrer Menschen mit Händen zu greifen. Eine irgend tatkräftige, gegen das öffentliche Elend angehende Zivilgesellschaft ist nicht zu erkennen.

Wir wissen nicht, was ein dort lebender Milliardär oder auch nur Millionär mit eigenen Augen sieht und wirklich wahrnimmt. Es gibt, gerade in Essen, das leuchtende Beispiel etwa des öffentlich engagierten Unternehmers Berthold Beitz. Auch Theo Albrecht soll im Verschwiegenen durchaus mildtätig gewirkt haben, ebenso tut es im Jugendbildungsbereich wohl sein noch reicherer und ebenso diskreter Bruder Karl. Doch: „Vorbildcharakter hat es leider keinen, weil niemand davon erfährt“ (so die „Süddeutsche Zeitung“). Und es gibt eben keine Aldi-Uni.

Bisher wurde das gesellschaftliche Engagement von wohlhabenden Privatleuten in Deutschland oft mit dem Verdacht belegt, es könnten dabei öffentliche und private Interessen verquickt, die Verantwortung des Staats geschmälert und das Gemeinwohl womöglich kommerzialisiert werden.

Diese Sorgen erscheinen gegenüber seriösen Stiftungen als das geringste Problem. Denn natürlich wird niemand mit Verstand den Staat aus seiner vorrangigen Verantwortung für die Aufgaben des Sozialen, der Bildung, Kultur, Gesundheit oder öffentlichen Sicherheit entlassen. Es geht vielmehr um notwendige Ergänzungen. Und es geht darum, den allzu lang nur deklaratorisch begriffenen Verfassungssatz „Eigentum verpflichtet“ juristisch und politisch mit Leben zu füllen.

Das berührt zuerst natürlich das Steuer- und Stiftungsrecht, insbesondere die Besteuerung großer Erbschaften und höherer Einkommen, bei gleichzeitiger Entlastung des Mittelstands und Anreizen, überschüssiges Kapital stärker in die Realwirtschaft zu investieren. Und in gemeinnützige Projekte.

Die große Spendeninitiative der US-Milliardäre verdankt sich neben dem laut verkündeten Edelmut auch sehr wesentlich dem im Erbfalle sonst gnadenlos zugreifenden amerikanischen Fiskus. Davon ist man in Deutschland noch weit entfernt. Doch könnte die jüngste Debatte immerhin einen Mentalitätswechsel hierzulande mitbefördern. Die Formel „Tue Gutes und rede darüber“ muss nicht mehr als Freibrief zur Angeberei verstanden werden. Sondern als Anstiftung. Auch zum Stiften.

Nun werden in einer säkularen Gesellschaft nicht allerorten die Bergpredigten einsetzen. Aber es könnte auch einen gesellschaftlichen Ruck geben, wenn im Fernsehen zum Beispiel ein Thomas Gottschalk oder Harald Schmidt nicht mehr zu fein und aus Selbstbetroffenheit zu feige wären, ihre so supererfolgreich belobigten Stars einmal zu fragen: „Was machst du jetzt eigentlich mit deinem Geld?“ Als der junge Philipp Lahm in irgendeiner TV-Show mal weniger über Fußball als über seine Stiftung und von ihm unterstützte soziale Projekte reden wollte, wurde sehr schnell das Thema gewechselt. Als wäre es ein Tabu, über gute Geldanlagen zu sprechen.

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