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Renate Künast steigt in den Ring.

© dpa

Berlin-Wahl 2011: Künast zwischen Öko-Charles und Hundekot

Renate Künast ist keine Revolutionärin, meint Times-Korrespondent Roger Boyes. Als Regierende Bürgermeisterin müsste sie beweisen, dass grüne Pläne mit weniger Bürokratie umgesetzt werden können.

Wer möchte schon gern Regierender Bürgermeister von Berlin sein? Klar, es gibt schlimmere Jobs. Verkäufer in einem der Sexläden am Adenauerplatz zu sein oder Nachtschicht auf einer Tankstelle zu haben und darauf achten zu müssen, dass niemand eine Dose Red Bull klaut. Aber als Berlins Bürgermeister muss man eine Lüge leben: Man muss so tun, als ob diese merkwürdig fragmentierte Stadt überhaupt noch regierbar wäre.

Und nun steigt die eindrucksvolle Renate Künast – die mich immer an Tim aus „Tim und Struppi“ erinnert – in den Ring. Wie Tim, der rasende Reporter, ist sie unablässig auf der Suche nach Abenteuern, deckt Geheimnisse auf, entlarvt böse Männer. Und wie der Comic-Journalist niemals beim Verfassen einer Reportage zu sehen ist, erwischen wir Künast selten dabei, wie sie eine Entscheidung trifft. Sie ist also perfekt für den Job.

Die Grünen sind derzeit bemerkenswert populär, weil sie als Verkörperung des Zeitgeistes wahrgenommen werden. Es herrscht ein tiefes Misstrauen gegenüber einem unsensiblen politischen Entscheidungsprozess; Politiker werden als unfähig wahrgenommen, die Ängste und Sorgen der Bevölkerung zu verstehen. Wir brauchen einen neuen politischen Diskurs: Das ist offenbar die Lehre aus Stuttgart 21. Die Demonstranten dort und im Wendland sind überwiegend bürgerlich und wütend darüber, dass die Politiker sie nicht ernst zu nehmen scheinen. Das ist ein Gefühl, das die Berliner mehr und mehr auch bei Klaus Wowereit haben: Er hat aufgehört zuzuhören. Die Grünen haben dagegen eine ganz neue Debattenkultur ins Leben gerufen. Sie sind noch immer die Partei der Sprachtherapie. Aber wenn es darum geht, zu regieren statt nur guten Rat zu liefern, fallen die Grünen allzu oft auf das Mittel des Zwangs zurück. Klassisches Beispiel ist die solare Baupflicht in Marburg: die Entscheidung, dass alle Hausbesitzer ihr Wasser mit Sonnenenergie erwärmen müssen, wenn sie das Haus renovieren. Aus englischer Sicht ein außergewöhnlicher Eingriff ins Eigentumsrecht. Und darin besteht der Widerspruch der Macht der Grünen: Einerseits versprechen sie eine Demokratie der Mitbeteiligung; andererseits bieten sie all jenen, die sich die politisch korrekte Reaktion auf den Klimawandel nicht zu eigen machen wollen oder sie sich nicht leisten können, nichts an.

Wird sich die Regierende Bürgermeisterin Künast als Öko-Diktatorin aufspielen, als eine grüne Imelda Marcos? Die erfolgreichsten grünen Bürgermeister – in Tübingen und Freiburg – sind direkt gewählt worden und haben eine Mehrheit hinter sich. Künast hätte diesen Luxus nicht, und Grün-Rot wäre eine fundamental andere Konstellation als Grün-Schwarz. Sicher ist nur, dass grüne Stadtregierungen in reichen Gemeinden am besten funktionieren, im sauberen, reichen Schwabenland. Dort streiten sie über die Gefahren der Laubbläser, hier stehen wir knietief in Hundescheiße. Was in Marburg wie ein Öko-Diktatur erscheint, mag in Berlin jedoch der einzige Weg sein, Veränderung zu erreichen. Bürgermeisterin Künast setzt ein allgemeines Tempo 30 für die Stadt durch – diktatorisch? Aus Sicht vieler Taxifahrer vielleicht. Aber bei schleppendem Verkehr in der Innenstadt und hohen Parkgebühren denken die Menschen vielleicht endlich darüber nach, ihr Auto stehen zu lassen und die S-Bahn zu benutzen. Also völlig richtig. Auch Künasts Plan, mehr Fahrradwege zu schaffen, ist gut, solange ich nicht selbst aufs Fahrrad muss. Eine solche Politik muss aber mit Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr Hand in Hand gehen. Wowereit hatte einst die S-Bahn zur Chefsache erklärt.

Ich habe nichts dagegen, von einer Frau gesagt zu bekommen, was ich tun soll; daran müssen wir uns alle gewöhnen. Aber Künast muss beweisen, dass grüne Pläne mit weniger Bürokratie umgesetzt werden können. Und dass sie den ökonomischen Verstand besitzt, Prioritäten zu setzen und Geld frei zu machen für Investitionen – und gleichzeitig zu sparen. Kann sie das? Mir fehlt das Beweismaterial.

Trotz ihres Images in der Boulevardpresse ist Künast keine Revolutionärin. Prinz Charles ernannte sie einst zu seiner Lieblingspolitikerin in Deutschland – vermutlich, weil sie mehr Wildnisflächen in Berlin schaffen will. Die neue anglodeutsche Achse: ein Bio-König und eine Bio-Königin tauschen sich über die postindustrialisierte Zukunft aus. Gut möglich. Aber um glaubwürdig zu bleiben, muss Öko-Charles auf einige teure Paläste verzichten. Und Bürgermeisterin Künast muss einen Weg finden, aus Berlins Hundekot Bio-Energie zu gewinnen. Nichts weniger wird die Berliner davon überzeugen, dass ihre Stadt für eine grüne Revolution bereits ist.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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