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Hier kassiert der Kunde selbst: SB-Kassen sind praktisch für die Unternehmen, weil sie Personal sparen können. Aber sind sie auch praktisch für Einkäufer?

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Kunden als Servicemitarbeiter: Wir sind bedient

Ikea macht es, Vapiano auch und die Post sowieso. Unternehmen befördern ihre Kunden zu unbezahlten Servicemitarbeitern. Angeblich profitieren davon beide Seiten. Warum nur fühlt es sich nicht so an?

Von Anna Sauerbrey

Eigentlich verdiene ich mein Geld mit Journalismus. Das ist mein Hauptberuf. Im Nebenberuf, das ist mir in den Ferien deutlich geworden, bin ich Servicemitarbeiter. Obwohl ich eigentlich frei hatte, habe ich ständig für irgendwelche Großunternehmen gearbeitet. Bei der Bahn bin ich Reiseberater und Ticketverkäufer. Die beste Verbindung recherchiere ich selbst im Internet und drucke mir das Ticket auf meinem eigenen Drucker aus. Oder aber ich kaufe es mir am Automaten, wo ich dann gleich auch die älteren Damen und Herren vor und nach mir berate, die mit dem Automaten weniger gut zurecht kommen.

Bei der Post wiege ich meinen Brief selbst und suche die passende Briefmarke aus einem Automatenmenü aus. Ich bin auch mein eigener Briefträger. Päckchen hole ich in der Packstation ab. Bei Real bin ich Kassiererin. Ich scanne meine Produkte selbst ein – was viel schwieriger ist, als man meinen sollte – und regele das mit der Kartenzahlung auch ganz selbstständig.

Bei Ikea bin ich Berater, Lagerarbeiter und Lieferwagenfahrer. Meine Schrankwand stelle ich mir zu Hause am Computer zusammen, hole die Teile selbst aus der Lagerhalle und fahre sie im eigens angemieteten Auto nach Hause. Die Teile sind übrigens oft viel schwerer, als man meinen sollte.

Für meinen Strom- und Gasanbieter bin ich im Außendienst tätig. Ich lese meinen Zählerstand selbst ab, logge mich auf einer Internetseite ein und teile die Zahl der Rechnungsabteilung mit. Für meinen Internetanbieter bin ich Techniker. Ich installiere meine Router selbst – jedenfalls versuche ich es, man kann ja nicht alles können.

Bei Vapiano bin ich mein eigener Kellner. Ich hole mir mein Essen selbst am Tresen und nehme dabei anderen Gästen nicht den Platz weg.

Kurz: Ich bin ein „Prosument“, eine Mischung aus Produzent und Konsument, aus Anbieter und Kunde.

Ich sei eben ein "Prosument", sagen Betriebswirte
Meine Idee war das nicht. Das „Outsourcing auf den Kunden“ haben Betriebswirte erfunden. Sie haben mich zum Servicemitarbeiter gemacht. Angefangen hat das alles schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, habe ich gelesen. Da schwappte die Selbstbedienung mit dem Supermarkt nach Europa. Das habe ich nicht selbst erlebt, so dass ich es mir auch gar nicht anders denken kann, als meine Äpfel selbst einzupacken und zu wiegen.

Vermutlich setzen die Unternehmen darauf, dass es meinen Briefträger-Kellner-Lagermitarbeiter-Kindern irgendwann einmal so ähnlich gehen wird wie mir mit den Äpfeln. Sie werden wahrscheinlich ihre Flieger selbst fliegen und ihre Burger selbst braten und ihre Hotelbetten selbst machen und ihren Müll selbst zur Deponie bringen und sich gar nicht wundern, warum sie keine Zeit haben, mal ein Momentchen in der Sonne zu liegen.

Legal ist diese Praxis offenbar. Den Vorwurf, die Bahn diskriminiere ältere Menschen, weil die mit den Automaten nicht zurechtkommen, am Schalter aber auf bestimmte Tickets einen Aufschlag zahlen müssen, ließ ein Gericht kürzlich nicht gelten. Muss halt jeder alles können.

Haben Sie noch einen Wunsch, Mrs. Temple?
Ich neige nicht zu Nostalgie, aber in den Ferien hat sie mich beschlichen. In der knappen verbleibenden Zeit zwischen zwei Serviceaufträgen habe ich mir Paul-Temple-Hörspiele angehört. Das war eine Krimiserie, die in den vierziger bis sechziger Jahren im englischen Rundfunk lief. Auf der Jagd nach Verbrechern werden dem Schriftsteller-Detektiv Paul Temple und seiner Frau Steve ununterbrochen die Koffer nachgetragen, Erfrischungen gereicht und Bestellungen ins Haus geliefert. Haben Sie noch einen Wunsch, Mrs. Temple? - Nein, danke sehr. Im Moment nicht.

Die Betriebswirte schwören, dass vom Outsourcen auf den Kunden beide Seiten profitieren. Das Unternehmen spare Arbeitkosten und könne so günstigere Preise anbieten. Das stimmt nicht immer. Für den Preis der Nudeln bei Vapiano bekommt man in Berlin auch Nudeln an einem gedeckten Tisch serviert. Und die Bahn scheint regelrecht teurer zu werden, je mehr ich für sie arbeite.

Aber klar: Heute kann fast jeder von London nach Genf fliegen, nicht nur Paul Temple, der alte Snob. Dennoch beschleicht mich das Gefühl, dass der Sättigungspunkt bald erreicht ist. Wir haben zu wenige bezahlte Jobs. Und denen, die bezahlte Jobs haben, fehlt bald schlicht die Zeit vor lauter unbezahlten Jobs. Wir sind bedient.

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