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Meinung: Kurzsichtiges fürs Fernsehen

Ein mutmaßlicher Terrorhelfer ist frei – weil Karlsruhe ein politisches Signal setzen wollte

Als Partner im Terrorkampf scheiden die deutschen Richter aus, polterte Generalbundesanwalt Kay Nehm vor kurzem sinngemäß. Er hatte Recht. So ließ nun auch das Bundesverfassungsgericht einen mutmaßlichen Terrorhelfer ziehen – und andere, vor allem aber viele verdächtige „gewöhnliche“ Kriminelle werden folgen, denn das deutsche Gesetz zum EU-Haftbefehl ist nach dem Urteil vom Montag verfassungswidrig und darum nichtig.

Recht so? Etwas verdutzt blickt nicht nur der gemeine Bürger nach Karlsruhe, sondern auch die Justizministerin, und das aus guten Gründen. Die Karlsruher Richter stellen den deutschen Beitrag an der europäischen Strafverfolgung auf null, wissend, dass der Gesetzgeber binnen kurzem kaum nachholen kann, was er verschlampt hat, nämlich die exaktere Prüfung von Auslieferungsbegehren zu verankern. Nichtig – das sieht konsequent aus und klingt nach Unabhängigkeit, leider ist es nur kurzsichtig und falsch. Ein Gesetz, das in Teilen verfassungswidrig ist, muss nicht automatisch nichtig sein. Ebenso wenig muss es nichtig sein, wenn, wie hier, Teile fehlen.

Derselbe Zweite Senat, der nun Mamoun Darkazanli auf eine Reise nach Nirgendwo schickt, ließ noch im Jahr zuvor sicherungsverwahrte Straftäter monatelang in Haft, obwohl er das zugrunde liegende Gesetz ebenfalls für nichtig erklärt hatte. Begründung: Es wäre zu gefährlich, sie auf freien Fuß zu setzen. Ähnliches könnte man wohl auch von Darkazanli behaupten. Ein begrenzter Verbleib in Haft wäre juristisch vertretbar gewesen, zwei der acht Richter haben in ihren abweichenden Voten auch in diese Richtung argumentiert. Die Senatsmehrheit aber wollte die Entlassung des Mannes offenbar unbedingt im Fernsehen verfolgen.

Dieses Ärgernis entspringt der Unentschiedenheit des Urteils. Das Gericht selbst schürte die Erwartung, es werde den Haftbefehl zur Abrechnung mit den Demokratiedefiziten in der EU nutzen. Im Urteil findet sich nur wenig davon. Im Gegenteil, ausdrücklich billigt es die „Dritte Säule“ der Union, die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, deren Produkt der Haftbefehl ist und bei der das EU-Parlament in der Tat nichts zu sagen hat.

Doch hier meiden die Richter eine Diskussion um Legitimationsprobleme, wenn offenbar auch nur widerstrebend. Schließlich, sagen sie, kann sich das deutsche Parlament ja den Brüsseler Vorgaben verweigern. Kann es aber nicht, weil es damit wiederum gegen EU-Recht verstößt. Ein Dilemma, für das man auch in Karlsruhe keinen Ausweg weiß.

Das Urteil zum Haftbefehl enthält – berechtigte – Kritik an der staatlichen Umsetzungspraxis, nicht an der EU-Rechtsetzung selbst. So zeigt es einmal mehr, dass die Richter es wohl auf keine Konfrontation mit Europa mehr ankommen lassen werden. Darin steckt womöglich ein wenig Feigheit, politisch wie juristisch ist es dennoch klug, weil nationales und EU-Recht nur in Kooperation funktionieren können. Umso ärgerlicher ist es, wenn man in Karlsruhe meint, die eigene schwindende Herrlichkeit damit kompensieren zu müssen, dass man laut „Ätsch“ ruft – und im Namen des Volkes Terrorverdächtige ziehen lässt.

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