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Kaum ein Verhältnis ist so emotionsgeladen, wie das zwischen Deutschland und der Türkei - dabei läuft es im Alltag oft so entspannt ab, wie hier bei einem EM-Spiel.

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Länderbeziehungen: Deutschland und die Türkei: Weder nah noch fern

Kaum ein anderes Land weckt so starke Emotionen wie die Türkei, Einmischung in innere Angelegenheiten ist im deutsch-türkischen Verhältnis längst die Regel. Doch schon bald könnten sich die Rollen vertauschen.

Türkische Regierungsvertreter und Medien regen sich darüber auf, dass türkische Reporter beim Münchner NSU-Verfahren nur auf der Warteliste stehen. Neue Verstimmungen zeichnen sich im Fall des mutmaßlichen Alexanderplatz-Schlägers Onur U. ab, der sich nach der tödlichen Prügelattacke auf Jonny K. im vergangenen Jahr in die Türkei abgesetzt hatte und nun dort – und nicht in Berlin – von der Justiz ins Visier genommen werden soll. Etwas abseits der Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit gehen unterdessen die Verhandlungen zwischen dem türkischen Staat und der PKK weiter. Wenn die PKK den Kampf gegen Ankara endgültig einstellen sollte, könnte sich das indirekt auch auf Deutschland auswirken, wo die Kurdenrebellen besonders in der illegalen Geldbeschaffung recht aktiv sind.

In diesen Tagen wird ganz besonders deutlich, dass im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei die gewöhnliche Grenzziehung zwischen Innen- und Außenpolitik aufgehoben ist. Jeder türkische Politiker, der etwas auf sich hält, will dem eigenen Publikum zeigen, dass er für die Landsleute in Europa und besonders in Deutschland einsteht – deshalb zieht der für die Auslandstürken zuständige Vizepremier Bekir Bozdag zurzeit wegen des NSU-Streits und nach Wohnungsbränden bei Deutschtürken vom Leder, dass es nur so staubt. Umgekehrt erscheint es konservativen Politikern in der Bundesrepublik ratsam, ab und zu die angebliche orientalische Europa-Unfähigkeit der Türkei hervorzuheben, um die eigenen Leute bei Laune zu halten. Kaum ein anderes Land weckt so starke Emotionen. Einmischung in innere Angelegenheiten? Im deutsch-türkischen Verhältnis ist das längst die Regel, nicht die Ausnahme.

Man mag diese enge Verflechtung und die ungebetenen Ratschläge der jeweiligen Gegenseite beklagen, doch Politiker, Medien und Öffentlichkeit werden damit weiterleben müssen. Das gilt nicht nur im Moment und nicht nur für das Verfahren in München: Man darf gespannt sein, was deutsche Politiker sagen würden, wenn ein Provinzgericht in der Türkei eines Tages auf die Idee kommen sollte, deutsche Medienvertreter und Diplomaten wegen Platzmangels im Verhandlungssaal vom Prozess gegen den mutmaßlichen Schläger Onur U. auszuschließen.

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