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Kritik des Parlamentspräsidenten: Lammert hätte früher reagieren müssen

Der Präsident des Deutschen Bundestages muss seine Rolle ernster nehmen. Beim parlamentarischen Verfahren zu den Atomlaufzeiten hätte er früher eingreifen können.

Von Robert Birnbaum

Norbert Lammert hat womöglich durchaus recht. Lammert kritisiert das parlamentarische Verfahren, in dem die Verlängerung der Atomlaufzeiten zustande gekommen ist: Den Bundesrat nicht um Zustimmung zu fragen, sei wenig klug, im Beratungsverfahren nehme man sich zu wenig Zeit. Dass die Opposition die Klage dankbar aufgreift und mittlerweile versucht, dem Bundespräsidenten Christian Wulff als der gemäß Verfassung nächsten Prüfungsinstanz ein Veto gegen das Gesetz zu empfehlen, macht diese Kritik nicht automatisch falsch. Sie wird nicht einmal dadurch entwertet, dass diese Opposition den Verdacht nicht ganz ausräumen kann, sie habe beispielsweise das Chaos im Umweltausschuss des Bundestages genau zu dem Zweck entfacht, sich hinterher darüber zu beschweren.

Es gibt nur ein Problem mit den Einwänden des Norbert Lammert. Er ist Präsident des Deutschen Bundestages. Das ist zwar über weite Strecken eine zeremonielle Aufgabe mit relativ geringer realer Macht. Aber wenn der Präsident des Parlaments ernsthaft der Ansicht ist, dass sein Parlament seine Pflicht nicht tut, dann kann und muss er eingreifen. Und er kann und muss das nicht hinterher in Interviews tun, sondern in dem Moment, in dem das Übel geschieht.

Lammert hat das nicht getan. Sein praktischer Protest bestand darin, sich in der Abstimmung über die Atomgesetze zu enthalten. Das ist das Recht jedes Abgeordneten. Es ist ebenfalls das Recht jedes Abgeordneten, sich letztlich der Fraktionsdisziplin zu unterwerfen und nicht gegen die eigene Regierung zu stimmen, wenn er deren Politik inhaltlich im Grunde richtig findet. Noch jeder Hinterbänkler hat zudem alles Recht der Welt, laut zu sagen, dass er das Verfahren trotzdem nicht gut fand.

Ausgerechnet der Präsident dieses Parlaments hat aber andere Möglichkeiten als der Hinterbänkler. Lammert gibt seit geraumer Zeit seiner Sorge Ausdruck, dass die parlamentarische Demokratie draußen im Lande immer weniger geachtet und das Parlament sogar als Trickkiste verachtet wird, in der sowieso die Mehrheit macht, was sie will. Die Sorge ist berechtigt, und Lammert ist es ernst. Umso ernster muss er dann aber seine eigene Rolle nehmen. Er ist der Präsident des Deutschen Bundestages.

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