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Das Künstliche des Zufalls: Die Ästhetik des Gartens scheint den Zeitgeist zu treffen.

© dpa

Landlust-Boom: Der Rückzug in den Garten

Die Deutschen kaufen „Landlust“ und pflanzen Erdbeeren. Kein Wunder, denn die Wachstumsbedingungen für Eskapismus sind bestens. Warum wir in die Gärten fliehen und was das mit Politik zu tun hat.

Von Anna Sauerbrey

Ach, wie es blüht und gedeiht. Berlin verbirgt viele seiner kleinen und großen Hässlichkeiten hinter zartgrünen Hecken und sattgrünen Baumkronen. In den Kreuzberger Guerillagärten sprießt der Mohn, in Zehlendorfer Vorgärten blühen die Rosen und die Laubenpieper ernten, was die Schnecken vom Salat gelassen haben. Die Stadt sinkt hin in sommerlicher Behaglichkeit, sie trägt Strohhut und Spaten und sieht damit, wie sollte es anders sein, verdammt gut aus.

Der Deutsche ist in seinen Garten geflüchtet, in Berlin und anderswo. Wer keinen Garten hat, verwirklicht sich auf seinem Balkon oder auf einer Brachfläche. Die Gartensehnsucht steigert sich seit Jahren. Im vergangenen Sommer zog die Bundesgartenschau in Koblenz 3,5 Millionen Menschen an, ein Rekord. Gartencenter verzeichnen steigende Umsätze bei Grünzeug und Gartenmöbeln. Jetzt, im Sommer 2012, im Euro-Krisen-Sommer, ist ein neuer Höhepunkt erreicht. Schon bevor es warm wurde, im April, knackte „Landlust“, das Magazin zum Lebensgefühl, die Millionenmarke. Man hat das kommen sehen. Nur, warum?

Ein Sehnsuchtsort war der Garten schon immer. Seit Menschen sesshaft sind, legen sie Gärten an, je mächtiger und je reicher sie waren, umso prächtiger. Die großen Religionen kennen paradiesische Gärten als Ursprung und Versprechen. Warum die Gartensehnsucht gerade jetzt eine Renaissance hat, darüber kann man spekulieren. Die politische Küchenpsychologie legt zwei Gründe nahe.

Erstens ist der Garten das Gegenmodell zur aktuellen Politik. Hier gibt es keinen Wachstumsstreit. Wachstum ist hier prinzipiell gut; was zu viel ist und des Nachbarn Erdbeeren überschattet, wird eben mit der Heckenschere gestutzt. Während die politische Welt oft nur die Wahl hat zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Lösung (die Euro-Zone zerbrechen lassen oder die eigene wirtschaftliche Solidität gefährden, dem Morden zusehen oder in Syrien intervenieren), kennt der Garten das Gefühl der Machtlosigkeit nicht. Ein matter Rasen wird vertikutiert.

Zweitens scheint im Moment jede Notwendigkeit zu fehlen, sich in die Händel der Politik einzumischen. Es läuft ja, da draußen. Dem Gros der Deutschen geht es gut: Wer im Garten sitzt, muss nicht fürchten, dass sein Platz im Büro wegrationalisiert wird, nur weil er kurz aufgestanden ist, um die Buschbohnen zu wässern.

Die politischen Probleme sind komplex, die Euro-Mühen scheinbar vergeblich, der persönliche Spieleinsatz gering. Beste Wachstumsbedingungen für Eskapismus. Die Realitätsflucht hat Konjunktur. In den Auflagenrankings der Zeitschriften liegen vor „Landlust“ jetzt nur noch Fernsehzeitschriften und die „Bild am Sonntag“, allesamt ebenfalls Fluchthelfer. Den „Spiegel“ hat das Magazin überholt, wie der Garten die Politik überholt. Was eben noch als Inbegriff der Spießigkeit galt – der Laubenpieper und sein Gartenzwerg – ist nun Hipster-Konsens. Man privatisiert.

Sicher, manche verstehen ihren Garten als politisches Programm, gerade in den Städten. Die urbanen Gärtner von Berlin sehen ihre Tomaten im „Görli“ als Verwirklichung des Traums von der Subsistenzwirtschaft, als Abkehr von der industriellen Produktion. Der Garten ist der Ort, an dem man politisch sein und sich trotzdem wohlfühlen kann. Der Garten ist gelebte Utopie, und auch das hat alte Wurzeln.

Gärten sind keine natürlichen Landschaften, sondern Idyllen, verklärte und idealisierte Vorstellungen von der Natur. In der christlichen Bildsprache des Mittelalters und der frühen Neuzeit waren sie eng mit dem Ideal der Jungfräulichkeit assoziiert. Häufig wurde Maria in einem Paradiesgarten dargestellt. Eine der bekanntesten Darstellungen ist die des „Oberrheinischen Meisters“, gemalt Anfang des 15. Jahrhunderts und zu sehen im Städel: Inmitten von friedvoll geschäftigen Heiligen, umgeben von botanisch korrekt ausgeführten Pfingstrosen und Maiglöckchen sitzt Maria und liest. „Landlust“ empfindet die Ästhetik dieser Idylle nach. Alles ist perfekt zufällig arrangiert, bis zu den frischen Beeren, die sich auf dem Zuckerguss eines Kuchens türmen. Im Garten des Oberrheinischen Meisters ebenso wie in den Gärten von „Landlust“ ist der Zufall gezähmt, ihm wird gerade so viel Raum gegeben, wie es zur Illusion von Realität braucht, und gerade so wenig, damit alles aufgeräumt aussieht.

Nun ist Eskapismus nicht moralisch verwerflich, im Gegenteil. Er ist eine Notwendigkeit der psychischen Hygiene. Wer sich zwölf Monate im Jahr rund um die Uhr mit den Problemen der Welt beschäftigt, ist entweder Angela Merkel oder akut Burn-out-gefährdet. Doch der sündenfreie Mariengarten der christlichen Ikonografie ist ein hortus conclusus, ein ummauerter Garten. Er ist der Klostergarten, ein Ort der inneren Einkehr, aber auch der Abkehr, ein Ort, der will, dass man das Interesse an der Welt verliert. Im Garten kann man sein, um Kräfte zu sammeln. Oder sich dorthin zurückziehen, nach der Kapitulation.

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