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Meinung: Leben und sterben lassen Belgien will Todkranken helfen – und entsorgt das Gewissen

Von Simone von Stosch Belgien hat sich den zwiespältigen Ruf erworben, das liberalste Sterberecht weltweit zu haben. Menschen, die unheilbar physisch oder psychisch krank sind, die unter unerträglichen Schmerzen leiden und die glauben, dass ihnen nichts bleibt als die Gewissheit auf einen qualvollen Tod, haben in Belgien künftig das Recht auf Sterbehilfe – unter strengen Auflagen.

Von Simone von Stosch

Belgien hat sich den zwiespältigen Ruf erworben, das liberalste Sterberecht weltweit zu haben. Menschen, die unheilbar physisch oder psychisch krank sind, die unter unerträglichen Schmerzen leiden und die glauben, dass ihnen nichts bleibt als die Gewissheit auf einen qualvollen Tod, haben in Belgien künftig das Recht auf Sterbehilfe – unter strengen Auflagen. Sie müssen den Wunsch bei vollem Bewusstsein geäußert haben. Der behandelnde Arzt muss zwei Kollegen konsultieren. Nach vier Wochen darf dem Wunsch des Patienten auf aktive Sterbehilfe entsprochen werden – so sieht es das Gesetz zur aktiven Sterbehilfe vor. Und manche sehen darin schon ein Modell für die anderen EU-Staaten.

Immerhin: Die Mehrheit der Belgier befürwortet das neue Gesetz, und auch in Deutschland wollen 60 Prozent der Bevölkerung die aktive Sterbehilfe. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten rasant gestiegen. Der Wunsch nach dem humanen Tod geht einher mit dem Fortschritt einer hochgerüsteten Medizin, die das Leben künstlich verlängert, um jeden Preis. Mit dem Sterben verbinden immer mehr Menschen die Situation in den modernen Krankenhäusern, in denen Apparate das Leben qualvoll verlängern, in denen unheilbar Kranke oft über Jahre computergestützt dahinvegetieren. Viele potenzielle Patienten fordern deshalb das Recht auf den selbstbestimmten Tod, sie wollen sterben, statt zu krepieren.

Der Wunsch nach dem Sterben in Würde ist berechtigt – und kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Aber wie viel hat er wirklich zu tun mit dem Recht auf „aktive Sterbehilfe“, das es nun auch in Belgien gibt?

In Deutschland ist man zurückhaltend. Selbst die passive Sterbehilfe ist nicht Gesetz. Obwohl die Rechtssprechung in den vergangenen Jahren eindeutige Wege weist, fürchten viele Ärzte Konsequenzen, wenn sie dem Wunsch des Patienten oder der Angehörigen nachkommen und die lebensverlängernden Geräte abschalten. Darüber soll und muss diskutiert werden. Patienten müssen das Recht bekommen, dass im Falle unheilbarer Krankheit und unerträglicher Schmerzen die lebensverlängernden Maßnahmen eingestellt werden. Der Übergang zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe ist fließend. Ein Beatmungsgerät abzuschalten ist eine aktive Handlung. Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen Sterbenlassen und Töten. Es ist nicht dasselbe, eine Behandlung abzubrechen oder eine tödliche Spritze zu verabreichen.

Diskutiert werden muss über wirksame Schmerztherapien. Viele Ärzte beklagen, das Betäubungsmittelgesetz lasse nicht genug Freiheit, um Leiden wirklich lindern zu können. Dabei belegen doch alle wissenschaftlichen Untersuchungen, dass in dem Moment, wo die Schmerzen gelindert werden, oft auch der Wunsch nach einem schnellen Tod erlischt, dass viele Patienten neuen Lebensmut schöpfen, wenn sie schmerzfrei sind. Ärzte dürfen nicht Gefahr laufen, strafrechtlich belangt zu werden, wenn sie bei unerträglichen Schmerzen hoch dosierte, lebensverkürzende Opiate verabreichen. .

Und es geht bei dem würdevollen Todes um Sterbebegleitung – und zwar nicht nur als einmalige Gelegenheit, sondern als Prozess. Auch daran fehlt es oft in den Krankenhäusern. Die Hospizbewegung versucht, den Wunsch nach einem Sterben in Würde umzusetzen. Doch nicht jeder hat die Möglichkeit, in einem Hospiz zu sterben. Der würdevolle Tod darf aber kein Privileg sein.

Die aktive Sterbehilfe, wie sie in den Niederlanden und jetzt auch in Belgien Gesetz wurde, ist aber die andere, entgegengesetzte Antwort. Sie geht den schwierigen und schweren Abwägungen aus dem Weg. Nicht Beistand und die Sorge für Menschen in Not stehen im Mittelpunkt, sondern deren Entsorgung. Und allzu oft verbirgt sich hinter dem Wunsch der Patienten auf Sterbehilfe das Drängen der Angehörigen, die das Leben der Kranken oder alten Menschen als nicht mehr lebenswert empfinden.

Aktive Sterbehilfe verändert die Gesellschaft. Diskussionen über lebenswertes und lebensunwertes Leben werden folgen, über Nutzen und Kosten von unheilbar Kranken, über die Daseinsberechtigung von Behinderten. Das wäre dann das Gegenteil von dem Tod in Würde.

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