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Leichts Sinn: Mir könnet alles … … sogar vernünftig miteinander schwätze

Dass die Schlichtung bei Stuttgart 21 als unerhört innovativ eingestuft wurde, ist verwunderlich. Rätselhaft bleibt aber auch, warum sich die Gegner erst in allerletzter Minute an den Bauzaun locken ließen.

Alle sind sich darüber einig, dass die „Schlichtung“ im Stuttgarter Bahnhofskonflikt unter Heiner Geißler eine gute Sache war – wie man unter Weinkennern sagt: ein Cuvée mit Zukunft. Über das bloße Geschmacksurteil hinaus fällt es freilich schwer, genau zu bestimmen, worin der Vorzug dieses vermeintlich einmaligen Verfahrens tatsächlich liegt.

Immerhin lassen sich aus rein pragmatischer Sicht Vorteile notieren. Zugegeben, mein Urteil ist insoweit voreingenommen, weil ich – aus biografischen Gründen: als Stuttgarter Patriot – zu den Befürwortern des neuen Bahnhofes gehöre. (Als Solcher hat es mich übrigens sehr verwundert, dass niemand die eigentliche Kernbotschaft durchschlagskräftig formuliert hat: Mit Sicherheit wird es in wenigen Jahrzehnten eine Schnellbahntrasse von Paris nach Budapest geben. Die Frage für uns Stuttgarter ist nur, ob sie über Frankfurt und Nürnberg verläuft oder durch Stuttgart, ob also der Wirtschafts-und Metropolraum Stuttgart mit seinen zwei, drei Millionen Bürgern und seinen Unternehmen im europäischen Verkehrswegenetz marginalisiert, also am Windschatten der Welt bleibt – um einen drastischeren Ausdruck wenigstens in der Schriftform zu vermeiden.)

Macht man also ein Nutzenkalkül auf, so ist der wichtigste Punkt – neben den aufgezeigten möglichen Verbesserungen des Projekts – dieser: Nur dank dieser fernseh-öffentlichen „Hocketse“ – so nennen die Schwaben ihre Volkspalaver – ist es Bahn, Landesregierung und Stadt gelungen, ihre Argumente denen der Gegner auf Augenhöhe gegenüberzustellen, die auf die Straßen gezogen waren und dadurch die Medien kolonisiert hatten. Mit einem Mal sah die Öffentlichkeit: Auch die Befürworter sind nicht nur törichte – oder gar (siehe manche Plakate!) bösartige – Trottel.

Der Effekt ließ nicht lange auf sich warten: Jetzt sind, Umfragen zufolge, sehr viel mehr Leute im Ländle für den Bahnhof, als jemals Leute dagegen waren. A propos Medien: Seit über zehn Jahren wusste jeder Redakteur (und Chefredakteur!) im Großraum Stuttgart, dass Stuttgart 21 kommt. Wenn sie das so schlecht gefunden hätten, hätten sie das schon viel früher sagen können, anstatt erst jetzt sich so zu verhalten, dass nicht einmal über eine recht solide Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zum Thema ernsthaft berichtet wurde.

Aber dies sind eben durchaus voreingenommene Einschätzungen. Etwas mehr hat mich – demokratietheoretisch – verwundert, dass diese Schlichtung als etwas Einmaliges und unerhört Innovatives eingestuft wurde. Hatte denn noch nie jemand etwas gehört vom Instrument der Mediation, die ja nicht nur in privaten Konflikten, sondern eben auch gerade bei Großprojekten zum Interessenabgleich schon des Öfteren mit Erfolg eingesetzt wurde? Freilich immer nur dann, wenn sich Widerstand beizeiten artikuliert hatte oder abzusehen war. Das allerdings bleibt das nach wie vor große Rätsel: Wie konnte die südwestdeutsche Öffentlichkeit – unterstützt von den Landtagsparteien CDU, SPD und FDP – über ein Jahrzehnt lang geduldig dem Projekt zusehen, um sich – jedenfalls und auch nur zu Teilen – erst in allerletzter Minute an den Bauzaun locken zu lassen?

Übrigens interessiert mich auch dieses: Wann die dortige SPD, die bis vor kurzem in Treue fest zum neuen Bahnhof stand, um dann in die Idee eines undurchführbaren Volksentscheids zu flüchten, unter dem nun umgedrehten öffentlichen Meinungsbild ihre Position neuerlich verändert? Und wie die Grünen die nun offen gelegten unrentierlichen Kosten eines Projektabbruchs (zuzüglich der Modernisierung des alten Bahnhofs, zu der es vom Bund dann keine Zuschüsse mehr gibt) den Wählern schmackhaft machen wollen.

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