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LEICHTS Sinn: Was Kanzler wirklich wert sind

Helmut Schmidt: Einst gestürzt, jetzt gepriesen. Robert Leicht über den Altkanzler, der seinen 90. Geburtstag feiert.

W enn Helmut Schmidt neunzig wird, darf man sich nichts entgehen lassen. Und so blieb mir auch nicht eine Bemerkung von Antje Vollmer erspart, die behauptete, alle Kanzler außer Schmidt hätten in ihrer Regierungszeit einen „positiven Höhepunkt“ aufzuweisen – Adenauer die Westbindung, Brandt die Ostpolitik, ja, und Schröder das deutsche Nein zum Irakkrieg; nur eben Schmidt nichts dergleichen. Das ist nun aber doppelt unsinnig und zeigt, wie man positive und negative Mythen zugleich in die Welt setzen kann.

Zunächst der positive Mythos: Der positive Höhepunkt in Gerhard Schröders Kanzlerschaft sei es, dass er uns Deutsche aus dem Irakkrieg herausgehalten habe. Dass ich nicht lache! Wohl wahr, er hat im Wahlkampf 2002 das Thema Irak hochgezogen, als er gemerkt hatte, wie sehr das Stichwort zieht. Er hat sogar eine hypothetische Beteiligung selbst für den Fall von vorneherein ausgeschlossen, dass die UN ein Mandat erteilen würden. Doch niemand hatte von uns je eine Beteiligung verlangt. Dass der Irakkrieg, von George W. Bush, ein halbes Jahr später begonnen, dann schon mangels UN-Mandat völkerrechtswidrig war, steht auf einem anderen Blatt – und dass Saddam Hussein keine Massenvernichtungswaffen hatte, das wusste auch die Regierung Schröder damals nicht. Das herauszukriegen sollte ja angeblich gerade die einzige Aufgabe der BND-Agenten im Irak sein. Dass sie den US-Truppen außerdem Zieldaten lieferten, kann ich nicht verurteilen – so wenig wie die Tatsache, dass wir natürlich den US-Flugzeugen Überflugsrechte erteilten und Awacs-Flugzeuge mit unseren Leuten an Bord den türkischen Luftraum überwachten. Wir waren halt doch in den Krieg verstrickt – und wer sich darüber aufregt, obwohl er damals noch viel mehr Beteiligung gefordert haben würde, der macht sich lächerlich. Nein, wenn es eine bleibende Leistung des Kanzlers Schröder gibt, dann war es der Schwenk aus alten Illusionen zur Agenda 2010. Aber die gefiel Antje Vollmer nicht.

Und damit kommen wir zum negativen Mythos: Schmidts Kanzlerschaft ohne positiven Höhepunkt? Klar, wir wissen, dass Antje Vollmer die Politik des Nato-Doppelbeschlusses auch nicht gefiel. Aber wenn selbst Michail Gorbatschow später Schmidt bescheinigte, eben diese Politik habe Moskau zum Umdenken gezwungen und den Weg zur deutschen Einheit eröffnet, dann ist das doch immerhin was, oder? Ohne Brandts Ostpolitik, ohne Schmidts Beitrag zum KSZE-Abschluss (besonders beim sogenannten Korb 3, dem Bereich zu den Menschenrechten) bei gleichzeitigem Widerstand sowohl gegen die sowjetische Drohpolitik als auch die anfängliche amerikanische Nachlässigkeit demgegenüber (und dieser Widerstand verlangte mehr Courage als Schröders „Widerstand“ gegen den Irakkrieg) hätte Helmut Kohl, der beider Kanzler Politik zunächst bekämpft hatte, seinen „positiven Höhepunkt“ – die deutsche Einheit – nicht erlebt.

Die Kanzlerschaft Helmut Schmidts steckte also – trotz mancher Kritik – voller außerordentlicher Leistungen (der Kampf gegen die ökonomischen Verwerfungen nach der Ölkrise 1973, der rechtsstaatliche Kampf gegen den RAF-Terrorismus und die Doppelstrategie von Abwehr und Entspannung), so dass sich noch manche Nachfolger davon eine Scheibe abschneiden können.

Die ausgleichende Gerechtigkeit gipfelt im Umstand, dass heute auch jene dem Altkanzler huldigen, schon um von seinem Ruhm zu zehren, die seinerzeit als Sozialdemokraten seine Regierung innerlich ablehnten und letztlich stürzten. Aber die Erinnerung bleibt wach, auch an den schmachvollen Parteitag der SPD in Köln 1983, als von 400 Delegierten nur noch 14 hinter Schmidt standen, von dessen Politik wir heute immer noch profitieren. Da könnten ja aus dem jetzt gegebenen Anlass einige ein leises peccavi sprechen.

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