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Meinung: Brauchen Politiker beim Umgang mit Volksbegehren Nachhilfe?

"Hauptstadt des Bürgerwillens / Pro Reli oder das Volksbegehren gegen Rauchverbot stehen für die veränderte politische Kultur der Stadt" von Lars von Törne vom 25. Januar

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Volksbegehren nun mal gegen Gesetze regen, die von Regierenden erlassen wurden, deren Eitelkeit und Einbindung in Lobbys der Wählerwille unterworfen werden soll. Solange Wähler nur als Stimmvieh bis zur Amtseinführung von aufstrebenden Machthabern (Politiker sind sie ja im besten Sinne leider nicht) ernst genommen werden, sind Volksentscheide das einzige Mittel, demokratischer Willensäußerung. Aber auch hier finden sich noch jede menge Hintertüren, wie man an Herrn Wowereits Termintrickserei sieht.

Heide Binner, Berlin-Rudow

Mit großer Freude habe ich Ihre Artikel zur direkten Demokratie gelesen. Ich kann mich Ihrem Fazit, dass Volks-/Bürgerbegehren eine Belebung unserer Demokratie darstellen, nur anschließen. Die Zunahme des öffentlichen Diskurses zwischen den Bürgern im Zuge des Tempelhof-Volksbegehrens bzw. nun Pro Reli, aber auch auf lokaler Ebene durch das "Mediaspree versenken"-Bürgerbegehren in Friedrichshain-Kreuzberg war für mich frappant. Ich hatte den Eindruck, dass der seit Jahrzehnten in der politischen Bildungsarbeit und Politiker-Sonntagsreden vergeblich beschworene "engagierte und aktive Bürger" nun endlich in Erscheinung trat. Aber es ist noch lange nicht alles eitel Sonnenschein. Demokratie will gelernt sein - auch die direkte. Der ungeschickte bis zuweilen dumm-dreiste Umgang mit dem neuen politischen Instrument sowohl von seiten des Senats, als auch einiger Initiativen (Stichwort: Tempelhof und CDU) zeigt nur zu deutlich den allgemeinen Lernbedarf.

Nils Jonas, Berlin-Friedrichshain

Sehr geehrte Frau Binner, Sehr geehrter Herr Jonas, mit Ihrer Kritik am politischen Establishment und Ihren Sympathien für direkte Demokratie dürften Sie vielen Lesern dieser Zeitung aus dem Herzen sprechen. Dennoch gebe ich Folgendes zu bedenken: Aufbauend auf den Erfahrungen aus dem Untergang der Weimarer Republik hat die Bundesrepublik 1949 das Modell der repräsentativen parlamentarischen und parteienstaatlichen Demokratie in ihrer Verfassung verankert. Davon erwartete man sich Interessenausgleich, Kontinuität und einen handlungsfähigen Staat. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich dieses System im Großen und Ganzen auch bewährt hat. Dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes großes Misstrauen gegenüber direktdemokratischen Entscheidungsstrukturen hegten, kann ich gut verstehen: Sie befürchteten nämlich, dass sich die Bürger wieder von populistischen Parolen beeinflussen lassen und politischen Rattenfängern folgen könnten. Derartige Ängste sind auch heute nicht ganz unbegründet, wie die Erfolge des Rechtsextremismus in Deutschland und in vielen europäischen Ländern zeigen. Und auch das Argument ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, dass die meisten Bürger gar nicht über die notwendigen Kenntnisse verfügen, um ein kompetentes Urteil über die immer komplizierter werdenden politischen Sachfragen abzugeben. Nun hat sich im Laufe der Zeit herausgestellt, dass Wahlen allein nicht in der Lage sind, für eine lebendige Verbindung zwischen Bürgern und Politik zu sorgen. Die Parteien und das von ihnen gestellte Führungspersonal haben sich dem Volk entfremdet, und auch ihre Fähigkeit, für das Gemeinwohl zu sorgen, wird zunehmend infrage gestellt. Als Reaktion darauf sind neue Partizipationsformen entstanden, und die bestehenden Möglichkeiten direkter Demokratie werden verstärkt genutzt. Viele Beteiligte an Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen habe sich ein enormes Fachwissen und große Professionalität bei der Kommunikation ihrer Anliegen erarbeitet und sind durchaus in der Lage, der etablierten Politik Paroli zu bieten. Direkte Demokratie kann repräsentative Demokratie nicht ersetzen. Sie dient - wie Herr Jonas richtig schreibt - der "Belebung unserer Demokratie". Und daran herrscht immer noch großer Mangel. Pauschale Politikerschelte hilft da nicht weiter, und sie ist auch nicht gerechtfertigt. Es waren schließlich die Parteien des Abgeordnetenhauses, die die Bedingungen für Bürger- und Volksbegehren in Berlin erleichtert haben. Wenn direkte Demokratie zum Bestandteil der politischen Willensbildung wird, entsteht allerdings ein Konkurrenzverhältnis zwischen Repräsentativsystem und zivilgesellschaftlichem Engagement. Daran müssen sich viele Politiker erst noch gewöhnen und einen fairen Umgang mit den wachsenden Beteiligungsansprüchen üben. Lernen müssen aber auch die Bürger: Nur wenn sie sich einmischen, erreichen sie die Rückbindung der politischen Akteure an die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung. Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Richard Stöss, Politikwissenschaftler am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin

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