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Meinung: Brüssel ist nicht nur Sitz der EU

„Renovierungsbedürftiges Europa“ von Alexander Gauland vom 2. Januar Die Behauptungen, eine europäische Verfassung „(zäume) das europäische Pferd vom Schwanz auf“ und könne nicht „25 oder mehr unterschiedliche Zielvorstellungen sinnvoll überwölben“, verkennen die verschiedenen demokratischen Fortschritte, die die Verfassung bringt, und zeugen von einer gewissen Unkenntnis dessen, was in den zurzeit gültigen EU-Verträgen steht.

„Renovierungsbedürftiges Europa“

von Alexander Gauland vom 2. Januar

Die Behauptungen, eine europäische Verfassung „(zäume) das europäische Pferd vom Schwanz auf“ und könne nicht „25 oder mehr unterschiedliche Zielvorstellungen sinnvoll überwölben“, verkennen die verschiedenen demokratischen Fortschritte, die die Verfassung bringt, und zeugen von einer gewissen Unkenntnis dessen, was in den zurzeit gültigen EU-Verträgen steht. Dort sind nämlich bereits eine ganze Reihe von gemeinsamen Zielvorstellungen zu finden.

Historisch falsch ist Gaulands Analyse, dass „Europa sich aus einem abendländischen Gedanken in eine technokratische Wirtschaftsgemeinschaft gewandelt (habe)“, denn Europa ist seit der Montanunion von 1951 eine europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Und zwar aus gutem Grunde, wie Robert Schuman, einer der europäischen Gründungsväter, es 1950 erklärt hat: „Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung: Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.(…) Die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion wird sofort die Schaffung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung sichern – die erste Etappe der europäischen Föderation – und die Bestimmung jener Gebiete ändern, die lange Zeit der Herstellung von Waffen gewidmet waren, deren sicherste Opfer sie gewesen sind. Die Solidarität der Produktion, die so geschaffen wird, wird bekunden, dass jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich ist.“

Völlig daneben ist die abschließende „touristische“ Pointe: „Wer sinnlich erfahren will, weshalb ein solches Europa bürokratischer Überbau ohne historische und kulturelle Wurzeln ist, musste nur an den Weihnachtstagen durch das europäische Quartier in Brüssel spazieren. Gesichtslose Glaskästen haben ein traditionelles Kleine-Leute-Viertel verdrängt, und wo seine Metastasen mit alter Bausubstanz zusammenstoßen, zerfällt das historisch Gewachsene, ohne dass das Neue ästhetisch gewinnt. Wo in Rom, Berlin, Paris und London lebendige Fülle herrscht, verbreitet Europa in Brüssel Leere und Verfall“.

Zunächst ist es wahrlich nicht fair, Brüssel auf Behördenbauten zu reduzieren. Brüssel mit seinen Flaniermeilen, Restaurants und Kulturstätten hätte eine Entschuldigung Gaulands verdient. Und wenn die Ästhetik von Behördensitzen Gradmesser von Bürgerakzeptanz sein sollte, dann stünde es wahrlich schlecht um die Berliner Republik hinter den Ministergärten (insbesondere in der Weihnachtszeit) und umgekehrt wären der Vatikan oder der Kreml wohl die Inkarnation der Zukunft der Demokratie.

Matthieu Hornung,

Berlin-Wilmersdorf

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