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Meinung: Darf man Muslime durch Karikaturen beleidigen?

„ Muslime in Aufruhr: Weltweite Proteste gegen Karikaturen“ vom 3. Februar 2006 Als ein muslimischer Mit- und deutscher Staatsbürger bin ich zutiefst schockiert über die geschmacklosen Karikaturen unseres Propheten Mohammed.

„ Muslime in Aufruhr: Weltweite Proteste gegen Karikaturen“ vom 3. Februar 2006

Als ein muslimischer Mit- und deutscher Staatsbürger bin ich zutiefst schockiert über die geschmacklosen Karikaturen unseres Propheten Mohammed. Auch wenn die Art der dänischen Provokation sehr instinktlos ist, ist ein Boykottaufruf keine Lösung. Proteste sind nur legitim, solange sie gewaltfrei bleiben. Daher verurteilen wir auch die Verbrennung der dänischen Flagge, die ebenso entwürdigend wie falsch ist, wie die hässlichen Karikaturen, die zwei Milliarden Muslime unbeschreiblich gekränkt haben. Doch ich frage mich auch, wie hätte die christlich-abendländische Welt reagiert, wenn beispielsweise ein auch bei den Muslimen hoch verehrter Jesus anstatt mit dem Kreuz in der Hand mit einer Handgranate abgebildet wäre. Hätten wir uns wegen unseres angeblich unbegrenzten Humors im Westen amüsiert und nicht beleidigt gefühlt? Oder hätte es nicht doch einen Aufschrei gegeben? Die Lösung ist daher der gegenseitige Respekt vor- sowie friedlicher Dialog miteinander. Auch wenn es um eine Karikatur geht, die ihren Sinn in der Übertreibung hat, sollte man die Religion Andersgläubiger beachten. Freiheit, auch Presse- und Meinungsfreiheit hat dort ihre Grenze, wo sie beginnt, jemanden zu beleidigen. Diese Grenze wurde eindeutig überschritten. Das ist leider schon Blasphemie. Aus diesem Grunde stellen die Karikaturen eine neue Dimension der Islamophobie gegen Muslime und deren Religion dar. Sowohl die Bibel, die Thora als auch der Koran basieren auf denselben Grundelementen. Sich mit visuellen Medien oder sonstigen Mitteln anzugreifen oder zu diffamieren, hilft doch im Endeffekt den Radikalen auf beiden Seiten. Sie freuen sich nun und nutzen diese Provokation dankbar aus, um das freiheitlich-friedliche Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Religionen, die mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen besitzen, zu unterminieren.

Yasin Bas, Melle (Niedersachsen)

Sehr geehrter Herr Bas,

Ihr Brief schneidet hochaktuelle Fragen an, die zwischen Muslimen und Nichtmuslimen gerade jetzt geklärt werden sollten. Die wichtigste: Kann, ja darf es eine absolut gesetzte Meinungs- und Pressefreiheit geben? Darüber denken derzeit viele nach. Meine Antwort ist Ihrer ähnlich: Es gibt Grenzen. Aber wer setzt sie und bei welchen Inhalten – Text oder Bild – werden sie gezogen? Klar, dass in einer offenen Gesellschaft die Meinungen nicht einheitlich sind. Sie sind auch nicht einheitlich in der Europäischen Union. Dänemark setzt diesen demokratischen Freiheiten so gut wie keine Grenzen, das hat dort Tradition. Während der Besetzung durch die Nazis war das eine Quelle für couragierten Widerstand.

Heute haben wir eine ganz andere Ausgangslage: Es gilt ständig zu überlegen, wie in Ländern mit wachsender kultureller und religiöser Vielfalt Konflikte bewältigt werden und zu mildern sind. Natürlich nicht, indem jede Gruppe das macht, was sie für richtig hält und Kritik daran zum Fremdwort wird. In einer solchen Ordnung würde niemand leben wollen. Wir brauchen also neue Spielregeln, die allen im Land ein Höchstmaß an kultureller Freiheit sichern. Nun geraten die Meinungsfreudigen in eine Zwickmühle: Wollen sie den religiösen und anderen kulturellen Unterschieden einer Einwanderungsgesellschaft gerecht werden oder wollen sie das Recht, mit Meinungen auch beleidigen zu dürfen uneingeschränkt beibehalten? Für dieses Dilemma, vor dem viele Länder stehen, kann es kein Patentrezept geben. Immer kommt es auf den konkreten Fall an. Im Fall der Mohammed-Karikaturen halte ich den Widerspruch für leicht auflösbar: Wer das Recht zu beleidigen verteidigt, eröffnet einen zerstörerischen Wettbewerb. Der Verzicht auf die Karikaturen mag für manche ein hoher Preis sein, damit die muslimische Minderheit sich nicht vor den Kopf gestoßen fühlt. Ich sehe das allerdings anders: Die Rücksichtnahme in diesem Punkt verletzt kein Menschenrecht und schmälert auch keins. Im Gegenteil: Kritik an einigen islamisch begründeten Praktiken gegenüber Mädchen und Frauen ist glaubwürdiger und wird ernster genommen, wenn sie nicht pauschal diffamierend geäußert wird. Das führt nur zum Schulterschluss auch bei denen, die schon selbst kritische Fragen an die vorgeschriebene Religionsausübung gestellt haben.

Dass nun, wie Sie es ja auch tun, Muslime überall in Europa gegen die Kränkung protestieren, ist folgerichtig. Friedfertiger Protest ist praktizierte Meinungsfreiheit, die niemanden verletzt. Ihre vehemente Ablehnung jeglicher gewaltsamer Proteste im Karikaturenkonflikt scheint das vorherrschende Grundmuster europäischer Muslime zu sein. Ich kann nur hoffen, dass auch die zahlreichen Integrationspessimisten dieses Zeichen richtig zu deuten wissen, nämlich als Ja zu einer säkularen Gesellschaft.

Mit freundlichen Grüßen

— Prof. Barbara John, HU Berlin, von 1981 bis 2003 Ausländerbeauftragte des Berliner Senats

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