zum Hauptinhalt

Meinung: DIE ZUKUNFT DES ÖFFENTLICHEN PERSONEN-NAHVERKEHRS Was soll der Rummel um die BVG?

Unser Leser Philipp Seehofer findet, dass Betriebseinschränkungen sinnvoll sind. Nahverkehrsexperte Michael Lehmbrock setzt auf einen kontrollierten Wettbewerb

ZURÜCKGESCHRIEBEN

Zu: „Kein schöner Zug“ vom 16. September 2003

Der Autor braucht bloß in der gleichen Zeitung etwas herumzublättern. Dann wird er lesen, dass es bei der BVG aus betriebswirtschaftlichen Gründen in Kürze erhebliche Betriebseinschränkungen geben wird. Das macht aus meiner Sicht Sinn, denn viele Verkehrsmittel sind selbst zur Hauptverkehrszeit nicht hundertprozentig ausgelastet (Beispiel: U9!).

Gerade in Berlin haben wir zum Teil eine Überversorgung mit öffentlichen Personennahverkehrsmitteln. Auch die Deutsche Bahn AG hat in Berlin Milliarden investiert und ist flott und modern geworden. Viele hundert alte SBahn-Züge werden durch neue ersetzt. Die roten Doppelstockwagen sind entweder ganz neu oder wurden gleichwertig modernisiert. Die Linie S1 wurde auf einem Teilabschnitt sogar für einen ziemlich überflüssigen 5-Minuten-Takt ausgebaut. Insofern geht die Feigenblatt-Argumentation des vermutlich der Autofahrer-Fraktion entstammenden Autors nach Angebots-Verbesserung an der Realität vorbei. Ich denke, wir brauchen schon eine höhere Besteuerung des Individualverkehrs, aber vor allem eine Bewusstseinsänderung hin zum öffentlichen Nahverkehr. Es sollte schicker werden, den öffentlichen Nahverkehr zu benutzen. Kann nicht bitte schön der Tagesspiegel dazu verstärkt beitragen?

Philipp Seehofer, Berlin-Schöneberg

Sehr geehrter Herr Seehofer,

Sie schreiben, dass Angebotsverbesserungen an der Realität vorbeigehen. Das sollte differenziert beurteilt werden. Im Vergleich mit Paris, London, Mailand, Rom und vielen anderen Metropolen funktioniert der Verkehr in Berlin gut, sowohl mit der BVG und S-Bahn als auch mit dem Auto. Aus Sicht des Umweltschutzes, der urbanen Dichte und Vielfältigkeit Berlins ist es jedoch wichtig, den Anteil des Autos am gesamten Verkehr zu begrenzen. In Berlin braucht man schon heute nicht unbedingt ein Auto, um mobil zu sein. Übrigens: Fast die Hälfte aller Berliner Haushalte hat keines.

Berlin muss sparen und braucht trotzdem ein gutes Verkehrssystem. Dazu gehört ein leistungsfähiger Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV), der seine Aufgaben im gesamten Verkehrssystem erfüllen muss. Er sollte billiger produziert und es müssen mehr Fahrgäste gewonnen werden, die ihre Wünsche und Erwartungen besser berücksichtigt finden. Wie die Erfahrungen mit dem Wettbewerb beim Busverkehr in London, Skandinavien und Frankreich zeigen, geht das auch.

ÖPNV ist kein Selbstzweck. Auch im Wettbewerb sind Vorgaben erforderlich, die eine zielgerichtete Entwicklung des angebotenen öffentlichen Verkehrs erlauben. Zugleich sollen aber auch neue Ideen zum Zuge kommen, die Alternativen zum bisher vorhandenen Angebot aufzeigen – zum Beispiel könnten neue Formen des ÖPNV angeboten werden, die individueller sind. Warum können Kunden nicht zu Hause abgeholt werden? Ein in diesem Sinne vielfältiger Wettbewerb braucht mehr Verkehrsunternehmen als heute am Markt vorhanden. Hinzu kommt, dass ein zugleich kontrollierter Wettbewerb, der die englischen Erfahrungen (außerhalb Londons) berücksichtigt, nach Meinung der Fachwelt ein zentrales, leistungsfähiges und unabhängiges Management sowie eine schlagkräftige Verwaltung braucht.

Der Berliner Senat muss einen schwierigen Spagat bewältigen: Einerseits ist er als Eigentümer für die BVG verantwortlich und muss entstehende Verluste bezahlen, andererseits trägt er aber auch die Verantwortung für eine insgesamt zukunftsfähige und verträgliche Verkehrsentwicklung Berlins.

Michael Lehmbrock leitet im Deutschen Institut für Urbanistik das von der EU und Berlin geförderte Projekt „Zukünftiges Management des ÖPNV“.

-

Zur Startseite