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Meinung: Es brauchte die 68er nicht, um die Nazizeit aufzuarbeiten

Betrifft: Interview mit dem Chefredakteur des „Spiegel“, Stefan Aust, vom 24. August 2003 Herr Aust ist einer dieser selbsternannten Intellektuellen, die gerne mit Sympathie für wilde Außenseiter flirten und die damalige Kultfrage „Wenn einer von der RAF bei dir klingelt, würdest du ihn verstecken?

Betrifft: Interview mit dem Chefredakteur des „Spiegel“, Stefan Aust, vom 24. August 2003

Herr Aust ist einer dieser selbsternannten Intellektuellen, die gerne mit Sympathie für wilde Außenseiter flirten und die damalige Kultfrage „Wenn einer von der RAF bei dir klingelt, würdest du ihn verstecken?“ klammheimlich bejahen, wohl auch ein bisschen geholfen haben, sich dabei aber „kaputtlachen“. Seine Analyse von der auch nur theoretischen Folgerichtigkeit des Weges von der VietkongSympathie zur Blutspur RAF hat etwas Gespenstisches. Wer hier nicht mordet, steht im Abseits?

Hier musste niemand von Terror und Gewalt befreit werden; es gab keinen Schweinestaat, sondern die Recht schaffende, linksliberale Republik von Helmut Schmidt und H. J. Vogel. Es brauchte auch nicht die 68er, um die Nazizeit aufzuarbeiten. Joachim Fest hat dies in langen Diskussionen Josef Fischer nachgewiesen. Gewaltsamer Widerstand heute – stellvertretend für die Elterngeneration gegen das Naziregime? Solche Konfusion kann selbst Stefan Aust nicht glaubhaft reden.

Übrigens: Ich rede nicht als Opfer (was immer Befangenheit vermuten lässt, obwohl KZ-Insassen eigentlich am klarsten wissen, was Nazifolgen waren), sondern als Zeitzeuge. Ich habe als junge Regierungsdirektorin in den 70ern im BMJ im Verfassungsrecht gearbeitet und weiß, was es mit den Mythen von der „Überreaktion des Staates“ auf sich hat. Ein weiterer Irrtum von Aust: Schily hat sich völlig mit der Weltsicht seiner Mandanten identifiziert (Akten an die Presse zu geben – zu solch beruflichem Selbstmord war er selbstverständlich zu klug). Er hat in der Bundesregierung Panik ausgelöst mit seiner wochenlang öffentlich vertretenen Behauptung, der Staat habe die Terroristen in der Haft umgebracht. Schmidt konnte sich nur mit einer internationalen Untersuchungskommission von diesem ungeheuerlichen Vorwurf befreien. Schily war – neben Ströbele, Mahler und Plottnitz – einer der Anwälte, deretwegen unter größten liberalen Qualen das Kontaktsperregesetz erlassen werden musste, um ein ordentliches Verfahren sicherzustellen. Es bestand der starke Verdacht der Begünstigung bis zum Waffenschmuggel. Ströbele wurde beim Kassiberschmuggeln ertappt. Das Bekennerschreiben am Tatort in unserem Fall lautete: „Gegen den Sprung der imperialistischen Bestie unseren Sprung im Aufbau revolutionärer Gegenmacht.“ Schöne neue Welt?

Hergard Rohwedder, Witwe des 1991 von der RAF erschossenen Treuhandanstalt-Vorstands Detlev Rohwedder, Düsseldorf

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