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Meinung: Großer Wurf mutiert zum kleinen Reförmchen

Zur Berichterstattung über die künftigeZugangsregelung an GymnasienWarum hat Senator Zöllner eine Regelung für den Übergang an die Oberschule vorgeschlagen, die unter anderem auf Los statt auf Leistung setzt und in diesem Punkt auf massiven Widerspruch gestoßen ist? Der Grund: Die neue Sekundarschule, die zu allen Abschlüssen führen soll, funktioniert nur dann richtig, wenn sie die ganze Bandbreite der Begabungen, also auch gymnasiale Schüler enthält.

Zur Berichterstattung über die künftige

Zugangsregelung an Gymnasien

Warum hat Senator Zöllner eine Regelung für den Übergang an die Oberschule vorgeschlagen, die unter anderem auf Los statt auf Leistung setzt und in diesem Punkt auf massiven Widerspruch gestoßen ist? Der Grund: Die neue Sekundarschule, die zu allen Abschlüssen führen soll, funktioniert nur dann richtig, wenn sie die ganze Bandbreite der Begabungen, also auch gymnasiale Schüler enthält. Also muss der Senator auch die Eltern „gymnasial“ begabter Kinder veranlassen, die Sekundarschule zu wählen.

Dafür gibt es drei Möglichkeiten. Die erste: Überzeugungsarbeit durch werbende Darstellung eines attraktiven pädagogischen Konzepts. Das fand bisher nicht statt. Die zweite Möglichkeit: Zuweisung der Schüler auf der Basis einer Grundschulbeurteilung – wie in den meisten anderen Bundesländern. Da traute sich der Senator nicht ran: Eine Zulassung verstieße gegen die in Berlin verankerte Freiheit der Elternwahl. Außerdem würden die Gymnasien mit einer ausgewählten Schülerschaft geradezu bayerisch „elitär“ werden. Das widerspricht entschieden den Glaubensüberzeugungen von wichtigen Abgeordneten der Koalition.

Der Senator entschied sich für eine dritte Möglichkeit: die Mogelpackung. Auf der Packung steht: Die Eltern entscheiden! Aber dieser Aufschrift entsprechen nur 50 Prozent des Inhalts. Denn 50 Prozent der Plätze eines Gymnasiums sind per Los zu vergeben. Dadurch können schwach begabte Schüler in das Gymnasium ihrer Wahl eingelost werden. Aber, und das ist das eigentliche Ziel der Lotterie: Umgekehrt werden nun auch gymnasiale Schüler am Besuch des Gymnasiums gehindert und damit in die Sekundarschule genötigt, ob die Eltern wollen oder nicht.

Dies ist der geschickt verpackte Kern des Zöllner’schen Vorschlags. Sein Bildungslotto ist ein Rückschritt; bisher war mit der Gymnasialempfehlung die Garantie verbunden, einen Platz an einem Gymnasium zu erhalten. Das ist jetzt vorbei. Da die Gymnasien schlechter ausgestattet sein werden als die Sekundarschulen, haben hineingeloste schwache Schüler ein schweres Probejahr vor sich, sie werden harte Konkurrenz und demütigende Misserfolge erleben. Wenn Rot-Rot auf Lotterie statt Leistung besteht, dann bitte in einem Verhältnis, das das Risiko von Fehlentscheidungen geringer hält – zum Beispiel 80:20 statt 50:50. Damit nicht ganz so viel Luft in der Mogelpackung ist.

Dr. Hinrich Lühmann, Frohnau

Zöllner hat in seiner bisherigen Amtstätigkeit für Berlin durchaus achtbare Veränderungen im Berliner Schulsystem herbeigeführt. Jetzt vertut er aber die große Chance, das zweigliedrige System mit Qualität zu gestalten. Er nimmt nicht die Gelegenheit wahr, für sich Schulleitungen und über zwanzigtausend Lehrkräfte zu gewinnen, sondern opfert sie erneut überehrgeizigen Eltern, die von ihren Kindern mehr wollen, als diese in der Lage sind zu leisten.

Politik ist der Gesellschaft verpflichtet und hat eine Schule zu schaffen, die optimal in der Lage ist, das Potenzial eines jeden Schülers abzurufen. Das gelingt nicht, wenn im Gymnasium vom ersten Tag an überforderte Schüler den Ton angeben und das Klima der Schule nach unten ziehen. Deren Frust belastet jeden Tag den Schulalltag und überträgt sich auf viele Lehrkräfte; die Zahl dauerkranker Lehrer wird nicht geringer werden. Schüler, die nach dem Probejahr oder ein Jahr später mit mindestens drei Fünfen das Gymnasium verlassen müssen, werden zu Problemfällen der Gesellschaft. Das, Herr Zöllner, kann nicht Ihr Wille sein!

Jürgen Clausen, Berlin-Friedenau

Ein Kernstück der Berliner Schulreform wurde jetzt von Schulsenator Zöllner kurzerhand entsorgt. Die mehrfach erklärte Absicht, den neuen Sekundarschulen einen dem Gymnasium gleichwertigen Bildungsgang zu ermöglichen, ist mit der Einführung eines Probejahres am Gymnasium vom Tisch. Damit ist den Gymnasien in Berlin wieder ein probates Mittel in die Hand gegeben, sich einer unpassenden Schülerklientel zu entledigen. Auch die Mühsal der Erarbeitung von binnendifferenzierenden Unterrichtsverfahren zur individuellen Förderung kann man beruhigt den neuen Sekundarschulen überlassen, denen man wie weiland den Gesamtschulen großzügig die Bewältigung neuer pädagogischer Herausforderungen überlässt. Dergestalt mutiert ein großer Wurf zum kleinen Reförmchen.

Harald Kuhn,

Vorsitzender des Interessenverbandes

Berliner Schulleitungen, Potsdam

Muss man dem Senat dafür danken, dass er offensichtlich ein Förderprogramm für Privatschulen auflegt? Begüterte Eltern, deren Kinder in der neuen Berliner Klassenlotterie eine Niete ziehen, werden ihre Kinder (in nicht unerheblicher Zahl) an einem privaten Gymnasium anmelden. So wird zwar der vom bildungspolitischen Sprecher der Linken, Stefan Zillich, sogenannten Elitenbildung in Bezug auf die Begabungen der Kinder, jedoch nicht in Bezug auf den Geldbeutel der Eltern vorgebeugt. Ob das im Sinne linker Politik ist?

Es wird deutlich, dass die Gymnasien langsam ausgetrocknet werden sollen. Schule in Berlin wird kaputtgespart, denn auch in den Sekundarschulen, deren Grundidee durchaus sinnvoll ist, wird die individuelle Förderung einzelner Schülerinnen und Schüler bei Klassengrößen von 25 Schülern kaum möglich sein. Solange nicht endlich die Klassengrößen verringert werden, neue Lehrer, Erzieher und Schulpsychologen eingestellt werden, sind die angedachten Reformen, so sinnvoll einige auch sein mögen, zum Scheitern verurteilt.

Martin Klingenfuß,

Berlin-Reinickendorf

Das vorgeschlagene Losverfahren zur Regelung des Zugangs zur Oberschule bei „Übernachfrage“ kann eigentlich nur den verwundern, der die „Methode Zöllner“ noch nicht ausreichend kennt. Diese Methode setzt in den von ihm zu verantwortenden Bereichen auf den Interessen-Proporz der Koalitionsparteien als Basis der Sachentscheidung. Der Fachverstand im Haus hat sich anzupassen, dem wird nachgeholfen durch die Einbindung von Funktionären – teils durch Postenvergabe auf der Leitungsebene, teils durch die Inszenierung von Arbeitsgruppen, die Vorschläge machen dürfen. Entschieden wird im internen Parteizirkel. Kohärenz der Sachentscheidungen wird im Zweifel nicht angestrebt.

Wichtiger erscheint die Präsentation der Entscheidung in der Öffentlichkeit mit euphemistischen Reizetiketten. Ausdrücklich wird „Ergebnisoffenheit“ propagiert und stetiges „Nachbessern“ versprochen.

Des Weiteren gehört zur „Methode Zöllner“, die Problemfelder nicht praxisnah und in klarer Zuständigkeit anzugehen. Stattdessen wird der konkrete Lösungsdruck auf die untere Ebene abgewälzt, samt Berichts- und Rechenschaftspflicht (siehe Lehrerausstattung), was zusätzliche Kräfte an der Basis bindet und Verschleiß erzeugt. Das Losverfahren ist die Idealform kriterienfreier Problemlösung. Wie wir erfahren, müssen aber die Schulen, auf die das Problem abgewälzt wird, kriteriengestützt und gerichtsfest den ihr belassenen Spielraum verantworten. Der Rest wird dem freien Spiel der Kräfte (Fortuna) anvertraut.

Martin Reimann,

Humboldt-Gymnasium, Berlin-Tegel

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