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Meinung: Kann Insolvenz eine Chance für Unternehmen sein?

„Woche der Entscheidung für Schiesser / Insolventer Wäschehersteller macht wieder Gewinn“von Heike Jahberg vom 5. JuliDas kommt dann zumindest für mich doch überraschend: Der insolvente Wäschehersteller Schiesser macht wieder Gewinn, schreiben Sie.

„Woche der Entscheidung für Schiesser / Insolventer Wäschehersteller macht wieder Gewinn“

von Heike Jahberg vom 5. Juli

Das kommt dann zumindest für mich doch überraschend: Der insolvente Wäschehersteller Schiesser macht wieder Gewinn, schreiben Sie. Ich bin bisher immer davon ausgegangen, dass eine Firma, die Insolvenz anmelden muss, pleite ist und vom Insolvenzverwalter abgewickelt wird, damit die Gläubiger mit möglichst wenig Schaden davonkommen.

Die Leidtragenden sind dabei meist die Mitarbeiter, während die Manager wohl meist ungeschoren davonkommen, zumal sie selten mit ihrem Privatvermögen für ihre Fehlentscheidungen haften. Viele namhafte Firmen mit teils jahrzehntelanger Tradition mussten in der letzten Zeit in Deutschland in die Insolvenz gehen: Hertie, Woolworth, Arcandor, Trevira, Rosenthal, Schiesser, Karmann, um nur einige zu nennen. Es ist schade, dass solche Namen/Marken, die uns über lange Zeit begleitet haben und uns vertraut sind, einfach so vom Markt verschwinden, umso erfreulicher ist es, dass Schiesser eine Zukunft haben könnte.

Das wirft die eigentliche Frage auf: Waren die Staatsmillionen für Opel tatsächlich nötig, oder wäre eine Insolvenz, wie Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sie als Alternative vorschlug, nicht auch eine Möglichkeit gewesen, die Arbeitsplätze bei diesem traditionsreichen Unternehmen zu erhalten? Auch wenn man sich zu diesem Zeitpunkt sicher noch kein abschließendes Urteil bilden kann und längst nicht klar ist, was die (vorläufige?) Opel-Rettung den Steuerzahler letztlich kosten wird: Mir scheint, dass der Vorschlag des Herrn Guttenberg, Opel in die Insolvenz gehen zu lassen, vielleicht tatsächlich auch eine Chance für das Unternehmen gewesen wäre. Und eine für den Steuerzahler vergleichsweise preiswerte noch dazu.

Aber vielen unserer Politiker geht es anscheinend wie mir – sie setzen eine Insolvenz mit einer Pleite gleich.

Kurt-Walter Wagner, Berlin-Charlottenburg

Sehr geehrter Herr Wagner,

in der Tat geben Sie mit der Meinung, dass die Insolvenz mit der Pleite gleichzusetzen ist und das Ende eines Unternehmens bedeutet, eine immer noch sehr weit verbreitete Auffassung wieder – die aber so nicht richtig ist. Insolvenz bedeutet zunächst einmal nicht mehr, als dass ein Unternehmen nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu bezahlen, und dieser Fall ist schon bei einer Unterdeckung von mehr als zehn Prozent gegeben. Kann also ein Unternehmen zum Beispiel nur noch 80 Prozent seiner Verbindlichkeiten decken, dann gilt es rechtlich betrachtet bereits als insolvent. Damit nicht weitere Gläubiger durch ein Unternehmen, das nicht mehr zahlungsfähig ist, geschädigt werden, schreibt das Gesetz eine Pflicht zur Antragstellung binnen drei Wochen vor – an die sich leider die wenigsten Unternehmen halten.

Da nun die Zahlungsunfähigkeit aber auf vielen Ursachen beruhen kann, sieht das Insolvenzrecht für Unternehmen in einer solchen Krise eine wettbewerbsrechtliche Auszeit vor. Das heißt, im Schutz eines Insolvenzverfahrens und geschützt vor den Gläubigern (siehe jetzt bei Karstadt) soll in Ruhe geprüft werden, ob das Unternehmen noch marktfähig ist und gerettet werden kann – wie zum Beispiel bei Schiesser – oder ob es keine Aussichten mehr hat, dann wird es, wie Sie es ausgedrückt haben, „abgewickelt“. Da aber das Erhalten eines Unternehmens und das der darin gebundenen Arbeitsplätze von hoher Bedeutung ist, erhalten marktfähige Unternehmen im Insolvenzverfahren eine Reihe von Vergünstigungen, um sich zu erholen. Dazu gehört in erster Linie die Übernahme der Löhne und Gehälter mithilfe des Insolvenzgeldes für drei Monate, das heißt, das Unternehmen kann Liquidität „schöpfen“, mit der sich dann notwendige Sanierungsmaßnahmen bewältigen lassen. Es kann sich aus wirtschaftlich belastenden Verträgen lösen, aber auch Gelder zurückgewinnen, die vorher zu Unrecht aus dem Unternehmen abgeflossen sind etc.

Das Insolvenzrecht heutiger Prägung ist also ein auf Sanierung und Erhaltung ausgerichtetes System, mit dem es immer wieder gelingt, Unternehmen aus einer Schieflage wieder zu stabilisieren und viele Arbeitsplätze zu erhalten. Dass es im Moment viele „alte“ Unternehmen und Marken erwischt, liegt nicht am Insolvenzrecht, sondern leider beruhen mehr als 70 Prozent aller Insolvenzen auf Jahre zurückliegenden Fehlern des Managements, die jetzt in der Finanzmarktkrise plötzlich offenkundig werden und nicht mehr verdeckt werden können. Dass dies dann meist auch auf dem Rücken der Beschäftigten geschieht, ist höchst bedauerlich, aber vielfach nicht zu vermeiden – aus meiner Sicht ist aber eine stärkere persönliche Haftung auch des Managements unverzichtbar, so wie wir sie in Amerika schon lange haben,

Ich würde Ihnen auch zustimmen, dass es besser gewesen wäre, statt einer unkalkulierbaren Staatshilfe bei Opel auf die Kraft und die Möglichkeiten des Insolvenzrechts zu vertrauen, wie das Präsident Obama für den GM-Konzern gemacht hat. Vergleicht man das mit den ängstlichen und aufgeregten Diskussionen bei uns, dann wird deutlich, dass auch das Denken der Politiker noch stark von der Insolvenz als dem Ende geprägt ist, statt zu erkennen, dass ein klug angewandtes Insolvenzrecht unser Land auch international langfristig wettbewerbsfähig erhalten kann.

Mit freundlichem Gruß

— Prof. Dr. Hans Haarmeyer,

Direktor des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht e. V. (DIAI)

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